06.01.2013 Aufrufe

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

170<br />

kommt Bechstein zu einer ziemlich modern anmutenden Einsicht, 272 als er sich<br />

Gedanken über den ‚Naturzustand‛ der Natur macht (er <strong>mein</strong>t durchaus das gleiche,<br />

was <strong>die</strong> heutige Ökologie unter a- bis oligo-hemerobem Zustand versteht), in<br />

der er <strong>die</strong> Logik des Regulierungsanspruchs der Staatstheorie bruchlos auf das<br />

Problemfeld bezieht. Daher steht nicht <strong>die</strong> Bekämpfung als solche bei ihm in Frage,<br />

aber das Vorgehen könne mit Zurückhaltung erfolgen. Die Kenntnis der vollständigen<br />

Naturgeschichte sichere eben den vernünftigen und richtigen Umgang<br />

mit den unerwünschten naturalen Wettbewerbern, durchaus auch unter Anerkennung<br />

derer Lebensinteressen, aber vor allem und selbstverständlich bei Wahrung<br />

der menschlichen Interessen. Bechstein spricht bemerkenswerter Weise zunächst<br />

weder von Gott noch von der Schöpfung, sondern vom vernünftig handelnden<br />

Menschen (d.i.: das zeitgenössisch rationale, positive anthropologische Modell).<br />

Für <strong>die</strong> Modernität <strong>die</strong>ses Gedankens nimmt Bechstein am Ende dann aber doch<br />

noch den Schöpfer selbst in Anspruch, wenn er dessen Bedeutung auch geschickt<br />

relativiert 273: »Ich zähle es mit unter den Nutzen, den <strong>die</strong>ß schädliche Waldinsect,<br />

<strong>die</strong> Nonne, jetzt stiftet, daß durch sie <strong>die</strong> Menschen aus allen Ständen einmal auf<br />

<strong>die</strong> Natur, auf eine so erschütternde Art, aufmerksam gemacht werden. Es <strong>ist</strong> der<br />

weise Schöpfer gleichsam selbst, der uns hier durch sein gewöhnliches Erziehungsmittel,<br />

<strong>die</strong> Noth und das Unglück, wie wir es zu nennen pflegen, aufzuwecken<br />

sucht, auf das, was um uns her durch ihn lebt, wächst und wirkt zu merken,<br />

es zu untersuchen, durch unsern Verstand zu bereichern, unser Herz zu veredeln,<br />

und für unsere körperlichen Bedürfnisse zweckmäßiger als sonst zu sorgen.«<br />

Von hier richtet sich der Blick folgerichtig auf <strong>die</strong> praktischen Maßnahmen.<br />

272 Bechstein (1800), S. 4 ff: „Alle <strong>die</strong>se Thiere, <strong>die</strong> uns jetzt so großen Schaden zufügen, sind da, wo<br />

<strong>die</strong> Menschen noch als Naturmenschen mit wenig Bedürfnissen leben, nicht unnütz, sondern als<br />

Räder in der großen Weltuhr anzusehen, durch deren Mangel <strong>die</strong> ganze Maschine nicht stocken,<br />

doch unrichtig gehen würde; sie sind wie <strong>die</strong> Raubthiere dazu bestimmt, in der sich selbst überlassenen<br />

Natur Gleichgewicht zu erhalten … In der sich selbst überlassenen Natur <strong>ist</strong> daher, wie<br />

Vernunft und Erfahrung lehren, immer Gleichgewicht. Allein der Mensch kultiviert sich, er<br />

schafft sich Bedürfnisse, <strong>die</strong> mit dem Interesse der Thiere streiten, er stellt und dreht also, so viel<br />

er weiß und kann, an dem natürlichen Gang jener Uhr, und glaubt er könne <strong>die</strong>s mit Recht, da er<br />

sich als unumschränkten, ungebundenen Beherrscher aller Erdengeschöpfe hält, zu dessen Gebrauch<br />

alles da sey. Hierbey sollte er sich nun aber, wenn er sich als vernünftigen Beherrscher,<br />

und wohlbestellten Haushalter in der sichtbaren Natur ansieht, fein besinnen, weil er in <strong>die</strong>ser<br />

Natur zu schalten und zu walten habe, und es <strong>ist</strong> in der That Pflicht für ihn, auf welche Vernunft<br />

und selbst sein eigenes Interesse ihn hinweisen, es zu einer Gewissensfrage zu machen: In wie<br />

fern habe ich, um am wenigsten und ohne Frevel, in den Naturgang zu Gunsten <strong>mein</strong>es Interesses<br />

einzugreifen, an jener Uhr zu drehen und zu stellen Dann wird er auch zu einer weisen Mäßigung<br />

und zu Regeln gelangen, welche ihn bey seinen Operationen in der Natur leiten müssen;<br />

dann wird er richtiger entscheiden, welche Gegenstände der Natur mehr oder weniger mit seinem<br />

Interesse zusammen stimmen, welche schädlich oder nützlich seyn, welche er zu veredeln,<br />

zu begünstigen habe, und welche er zu vermindern, zu entfernen, zu verscheuchen sich erlauben<br />

dürfe.“<br />

273 Bechstein (1800), S. 7. Die rationale Modernität Bechsteins <strong>ist</strong> verblüffend, und der folgende<br />

Rückgriff auf den Schöpfer geschieht nach <strong>mein</strong>em Eindruck eher aus präventiv-apologetischer<br />

Ursache als aus innerer Überzeugung des Autors.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!