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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Schädlinge in Brandenburg (2007)<br />

tät und dem gesellschaftlichen Umbruch. Der Ost-Hamster wird zu einem Profiteur<br />

der deutschen Einheit. 235<br />

Dass der Vorstellung vom Schädling kein elaboriertes ökologisches Konzept unterliegt,<br />

<strong>ist</strong> offensichtlich. Die Biologie kennt keine ‚Schädlinge‛: Alle Organismen<br />

ex<strong>ist</strong>ieren gewissermaßen aus eigenem Recht (wobei <strong>die</strong>se Formulierung ihrerseits<br />

einen gewissen natural<strong>ist</strong>ischen Fehlgriff darstellt). Ziel einer jeden Schädlingsbekämpfung<br />

<strong>ist</strong>, <strong>die</strong> Populationsdichte von Schadorganismen unter der ‚Schadensschwelle‛<br />

zu halten. Die Opportunitätskosten einer Haltung, <strong>die</strong> keine Schädlingsbekämpfung<br />

vorsieht, sind im Agrarregime zu hoch. 236 Diese wirtschaftliche Schadensschwelle<br />

<strong>ist</strong> <strong>die</strong> Befallsstärke (oder der Verunkrautungsgrad), <strong>die</strong> unter wirtschaftlichen<br />

Gesichtspunkten gerade noch geduldet werden kann. Daraus folgt,<br />

dass Bekämpfungsmaßnahmen erst dann wirtschaftlich sinnvoll sind, wenn <strong>die</strong><br />

erwarteten Ertragsverluste größer sind als <strong>die</strong> Bekämpfungskosten. Für <strong>die</strong> einzelnen<br />

Schadorganismen ex<strong>ist</strong>ieren empirische Schadensschwellen, z.B. für den Kartoffelkäfer<br />

mit bis zwei Käfern oder zwanzig Larven je Pflanze. Diese Schadensschwellen<br />

werden jeweils an <strong>die</strong> Standorte angepasst.<br />

Es <strong>ist</strong> offenkundig: Der Begriff ‚Schädling‛ (bzw. seine gedanklichen Vorläufer)<br />

<strong>ist</strong> ausschließlich ökonomisch fun<strong>die</strong>rt. 237 Die Übernahme des Begriffs in <strong>die</strong><br />

Biologie und ihre Filiationen (etwa Forst- und Agrarbiologie) folgt allein den Gesichtspunkten<br />

angewandter Forschung im Dienste von Öffentlichkeit und Privatwirtschaft,<br />

<strong>ist</strong> also wissenschaftlich als ingenieurtechnische Problemforschung, als<br />

‚angewandte Forschung‛, einzuordnen. Daher <strong>ist</strong> deren Definition des Schadorganismus,<br />

<strong>die</strong> normativen Charakter hat, ausschließlich am menschlichen Eigeninteresse<br />

orientiert 238: „Organismen, <strong>die</strong> für den Menschen, seine Tätigkeiten oder für<br />

Produkte, <strong>die</strong> er verwendet oder herstellt oder für Tiere und <strong>die</strong> Umwelt unerwünscht<br />

oder schädlich sind.“ (Biozidgesetz § 3b,6 - vom 20. Juni 2002 (BGBl. I<br />

S. 2076) Selbst dort wo <strong>die</strong> Definition vorgibt, Schadensabwendung im Interesse<br />

235 Feldhamster wurden noch bis <strong>zur</strong> Wende 1989 in der Magdeburger Börde als Ernteschädlinge<br />

bekämpft und in großen Stückzahlen für <strong>die</strong> Pelzgewinnung (Westexport) gefangen.<br />

236 Für <strong>die</strong> Bekämpfungsmaßnahme <strong>ist</strong> aus der Sicht der Akteure das Bewusstsein und <strong>die</strong> reale<br />

Durchführung einer Abwehrhandlung offenbar mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger<br />

als deren objektive Wirksamkeit.<br />

237 Das <strong>ist</strong> <strong>die</strong> gängige vordergründige Ableitung, <strong>die</strong> lediglich über Nahrungsverluste oder Beschädigungen<br />

menschlicher Produkte als wirtschaftlicher Gegenstände klagt. Da der Mensch nicht<br />

von Brot allein lebt, also auch nicht vom Brotgetreide allein, müsste sich zumindest der Gedanke<br />

finden, wonach Schädlinge auch einen Teil des menschlichen Selbstverständnisses (zumindest im<br />

Agrarregime) attackieren bzw. zerstören, weil sie <strong>die</strong> Ergebnisse der menschlichen Anstrengung<br />

zerstören. So expliziert habe ich <strong>die</strong>sen Gedanken in der Literatur bisher nicht gefunden. Schädlingsbekämpfung<br />

wäre also mühelos auch aus einer philosophischen Perspektive zu verstehen.<br />

Hierzu unten Kap. 2.1. Ein Anschluss an den ex<strong>ist</strong>enziellen Bereich ergäbe sich, wenn <strong>die</strong> vielschichtige<br />

Deutungsmöglichkeit der göttlich gesandten Plage in <strong>die</strong>ser Richtung verfolgt würde.<br />

238 Zur Vermeidung von Missverständnissen <strong>ist</strong> darauf zu verweisen, dass z.B. in der Biologie<br />

durchaus Bereiche ex<strong>ist</strong>ieren, <strong>die</strong> ‘objektiv‛, d.h. frei von menschlichem Interesse sind. Das gilt<br />

z.B. für <strong>die</strong> Systematik der Organismen auf der Grundlage ihrer natürlichen Verwandtschaft; in<br />

der Physik wäre mit den Naturgesetzen und Naturkonstanten ähnliches gegeben, usw.<br />

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