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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Rekonstruktion h<strong>ist</strong>orischer Biodiversität (2003)<br />

türlichen Verhältnisse konnotiert. Etwa, wenn seltene Vögel in Massen einfallen<br />

(vgl. <strong>die</strong> zahlreichen Einzelbelege bei KINZELBACH & HÖLZINGER, 2000). Umgekehrt<br />

wird der Verlust von Lästlingen oder Schädlingen nicht weiter thematisiert.<br />

Alle <strong>die</strong>se Berichte gehören damit in jene erwähnte Kategorie des Mythos vom<br />

verlorenen Para<strong>die</strong>s bzw. zu seinen vielfältigen Verwandten. Oder sie gehören in<br />

<strong>die</strong> Kategorie von Wandersagen, in der etwa auch <strong>die</strong> „urban legends“(nach Art<br />

der „Spinne in der Yucca Palme“) angesiedelt sind.<br />

Sicherlich kann es „mehr“ gegeben haben, bevor <strong>die</strong> Landschaft zu einer tiefgreifend<br />

umgestalteten Kulturlandschaft wurde, aber was und wovon kann keineswegs<br />

als grundsätzlich ausgemacht gelten. Die Frage <strong>ist</strong> überhaupt so zu stellen:<br />

„Wovon gab es mehr“? und wenn, gab es „mehr Arten und/oder mehr Individuen“?<br />

Wobei wir selbst wieder dem Mythos aufsitzen, wenn wir <strong>die</strong> Frage auf das<br />

„Mehr“ ausrichten, statt auf „gab es andere Häufigkeiten“? Wer immer auf <strong>die</strong>se<br />

Fragen zu antworten sich berufen fühlt, wird Zeugen beibringen müssen.<br />

Im 18. Jh. beispielsweise, aus dem Abschussl<strong>ist</strong>en erhalten sind, wurden allein<br />

in Alt-Preußen, und ähnlich im Herzogtum Celle-Lauenburg, über Jahrzehnte jährlich<br />

ca. 60.000 Greifvögel geschossen. Die Preußen entnahmen über eine Kopfsteuer<br />

im 18. Jh. jährlich ca 350.000 Sperlinge allein in Brandenburg (HERRMANN,<br />

im Druck). Solche oder andere Zahlen spielen, <strong>mein</strong>er Kenntnis nach in der Diskussion<br />

z. B. bei Festsetzung der Vögel des Jahres keine Rolle. Dort ex<strong>ist</strong>iert lediglich<br />

eine diffuse Ahnung, dass es heute weniger als damals gibt (wann immer das<br />

war).<br />

Niemand hat bisher offenbar <strong>die</strong> Frage ernsthaft verfolgt, ob <strong>die</strong> vermutlich<br />

größere Verbreitung und Anzahl einzelner Arten, wie z.B. des Waldrapp, sich im<br />

späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, wie <strong>die</strong> spätere Verbreitung und Anzahl<br />

des Sperlings, einer anthropogenen Lizenz verdanke (ein Gedanke, den INEICHEN<br />

1997 für den Waldrapp anstößt, ohne ihn weiter auszuformulieren). Kaum jemand<br />

erinnert sich z.B. daran, dass der Kranich und <strong>die</strong> Trappe noch bis ins frühe 20. Jh.<br />

als Saatschädlinge schwer verfolgt wurden. Die Trappe verursachte im 18. und 19.<br />

Jahrhundert in Brandenburg solchen Schaden, dass sie sogar aus der Hohen Jagd<br />

in <strong>die</strong> Niederwildjagd umgesetzt wurde und damit, wie der Kranich, von jedermann<br />

geschossen werden durfte (KLOSE, in vorber.). Beim Sperling wird es noch<br />

interessanter, weil er Teile Deutschlands offenbar noch in der Mitte des 19.Jh.<br />

nicht erreicht hatte (MARSHALL, 1887), sofern den ornithologischen Beobachtungen<br />

<strong>die</strong>ser Zeit <strong>die</strong> gleiche Zuverlässigkeit wie heutigen Daten zukommt. Die Pferdefuhrwerke<br />

in den Städten des fin du siecle sind ihm <strong>die</strong> letzte große sichere Subs<strong>ist</strong>enzgrundlage.<br />

Sie verschwand mit dem Siegeszug des Automobils. Die gewaltige<br />

anthropogene Lizenz verschwindet mit den Pferdefuhrwerken aus den Städten.<br />

Und nun wird es knapper für <strong>die</strong> Sperlinge.<br />

Damit sind wir bei der spannenden Frage der Individuenzahlen angelangt. Fällt<br />

der Sperling nach seinem bekundeten Massenauftreten im 18. und 19. Jahrhundert,<br />

das nachweislich auf anthropogene Einflüsse <strong>zur</strong>ückgeht, heute auf Bestandszahlen<br />

<strong>zur</strong>ück, <strong>die</strong> seiner ursprünglichen Häufigkeit in unsere Region entsprechen? Wenn<br />

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