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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Krebse, Lachs und Hasenbraten (2006)<br />

richtet, sondern eben auch nützlich für den Menschen. Das <strong>ist</strong> für <strong>die</strong> genutzten<br />

Tiere und Pflanzen unmittelbar einleuchtend. Aber selbst <strong>die</strong> nicht genutzten Tiere<br />

und Pflanzen erfüllen ihre Zweckbestimmung als nützlich für den Menschen.<br />

Entweder sind sie letztlich doch wirtschaftlich nutzbar oder sie haben eine andere,<br />

<strong>die</strong>nende, womöglich auch erzieherische Aufgabe: So halten uns <strong>die</strong> wilden Tieren<br />

z.B. davon ab, in klimatisch unwirtliche Gegenden vorzudringen; alle Pflanzen der<br />

Welt sollen auf pharmakologische Wirkstoffe getestet werden, 122 <strong>die</strong> kleinen Feinde<br />

der Landwirtschaft sichern dem Landmann den Preis, indem sie <strong>die</strong> halbe Ernte<br />

auffressen und damit ein preisschädliches Überangebot abschöpfen; selbst <strong>die</strong><br />

Läuse sind sinnvoll, weil uns das Ungeziefer lehrt, gelegentlich Räume und Kleider<br />

zu lüften. 123<br />

Dieses ausgeprägte Nutzungs- und Nützlichkeitsdenken, das eigentlich seit Beginn<br />

der Entdeckungsreisen zu einem der Rechtfertigungsmotoren wurde und ins<br />

Gebäude der Wissenschaften durch das oeconomia-naturae-Konstrukt integriert werden<br />

konnte, tritt in der akademischen Lehre besonders der Nach-Darwin-Zeit in den<br />

Hintergrund. Die Wissenschaft emanzipiert sich im 19. Jahrhundert zunehmend<br />

von der Aufgabe, das Wohlstands- und Glückseligkeitsversprechen des Staates<br />

durch Forschungsarbeit einzulösen. 124 Hierfür werden stattdessen verstärkt <strong>die</strong><br />

Akademien mit ihren auf <strong>die</strong> Praxis zielenden Preisaufgaben sorgen. Außerdem<br />

werden spezielle Ausbildungseinrichtungen erfunden und aufgebaut, in denen<br />

praktisches (im weitesten Sinne ingenieurtechnisches) und ökonomisches Wissen<br />

vermittelt wird. Die Wissenschaft von den Organismen selbst hat viel damit zu<br />

tun, sich mit den Mitteln der exakten Naturwissenschaften zu konsoli<strong>die</strong>ren. Fragen<br />

der praktischen Nutzung wurden weniger erörtert, zumal <strong>die</strong> Biologie plötzlich<br />

feststellte, dass sie mit ihren Forschungsresultaten Fundamentalbegriffe der abendländischen<br />

Philosophie erschütterte. Beispielsweise führten Hans Drieschs Schnür-<br />

und Schüttelversuche am Seeigelei ihn zu bestimmten Einsichten und zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts konsequenterweise zu seiner Berufung auf Philosophie-<br />

Lehrstühle in Aberdeen, Heidelberg, Köln und Leipzig. D’Arcy Thompsons „On<br />

Growth and Form” beeinflusste ganze Generationen. In Deutschland gelingt es<br />

führenden Biologen, eine biologische Theorie als bedeutsam für das fundamentale<br />

Selbstverständnis des Staates darzustellen. 125 Die Biologie hatte <strong>die</strong> philosophischen<br />

Implikationen ihrer Disziplin nicht nur erkannt, sondern sie zu <strong>die</strong>sem Zeit-<br />

122 ein damals absolut gängiges Argument. Es findet sich wortgleich an vielen Stellen des heutigen<br />

Biodversitätsdiskurses wieder.<br />

123 <strong>die</strong> genanten Beispiele sind keineswegs fiktiv, sie stammen aus zeitgenössischen Ratgebern, der<br />

Hausväter-Literatur, und deren Umfeld <strong>zur</strong> Ungezieferbekämpfung (hierzu Bernd Herrmann, Umweltgeschichtliche<br />

Perspektiven früher landwirtschaftlicher Schädlingsbekämpfung, in Vorbereitung).<br />

124 Meyer (wie Anm. 16).<br />

125 Die Biologen Haeckel und Fraas konnten zusammen mit dem Nationalökonomen Conrad 1900<br />

eine Preisaufgabe ausloben, für deren Prämierung Friedrich Krupp immerhin 30 000 Mark bereitstellte.<br />

Das Thema lautete „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in Beziehung auf <strong>die</strong> innenpolitische<br />

Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?“ Pre<strong>ist</strong>räger war Schallmayer, ein Hauptvertreter des<br />

deutschen Sozialdarwinismus.<br />

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