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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Krebse, Lachs und Hasenbraten (2006)<br />

wäre „Biodiversität“ auch als pragmatischer Begriff und im gelehrten Austausch<br />

zwischen den Wissenschaftlern ein Begriff für einen je verständigungsnotwendigen<br />

Inhalt. Selbstverständlich gilt <strong>die</strong>s aber auch für den gleichsinnigen Gebrauch von<br />

„Artenvielfalt“. Allerdings <strong>ist</strong> <strong>die</strong>ser Begriff nie in ähnlichem Maße für programmatische<br />

Aussagen verwendet worden.<br />

2 Biodiversität, Artenvielfalt, Schöpfungsreichtum<br />

Als ich 1965 mit dem Studium der Zoologie begann, war das Wort Biodiversität<br />

noch nicht erfunden und kam daher im universitären Alltagsgebrauch und in den<br />

Lehrbüchern nicht vor. Geläufig war damals der Ausdruck Artenvielfalt, dessen<br />

Stelle heute oft durch den Begriff Biodiversität ersetzt scheint. Die zeitliche Reihe<br />

semantischer Stellvertreter kann aber weiter <strong>zur</strong>ückverfolgt werden. Dabei wundert<br />

es nicht, dass der Vorgänger der Artenvielfalt der Schöpfungsreichtum <strong>ist</strong>. Die chronologische<br />

Begriffsfolge Schöpfungsreichtum – Artenvielfalt – Biodiversität drückt als semantische<br />

Reihe auch einen wissenschaftsgeschichtlichen Wandel aus.<br />

Abkürzend verweise ich auf Lovejoys „Große Kette der Wesen“ 116. Seine Darstellung,<br />

<strong>die</strong> sich u.a. auf das biologische Forschungsprogramm des 18. Jahrhunderts<br />

konzentriert, zeigt <strong>die</strong> untrennbare Verbindung des „Schöpfungsreichtums“ mit<br />

der Idee einer Schöpfung der Fülle auf. Dabei bestimmen drei Setzungen der<br />

Leibniz-/Wolffschen Philosophie auch <strong>die</strong> Weltsicht der Naturwissenschaftler des<br />

18., zum Teil noch des 19. Jahrhunderts:<br />

1. Die Große Kette der Wesen nimmt an, dass kein denkbarer Platz in der Natur<br />

unbesetzt blieb, weil das grundgütigste aller Wesen keiner denkbaren Kreatur<br />

seine Ex<strong>ist</strong>enz vorenthalten könne: Alles was möglich <strong>ist</strong>, wird auch Wirklichkeit<br />

(Es gibt nichts Neues unter der Sonne).<br />

2. Die unendliche Fülle der Arten wird in sich zu einer Art des Gottesbeweises.<br />

Dabei „macht <strong>die</strong> Natur keine Sprünge“ (Das Prinzip der lückenlosen Kontinuität<br />

in der unendlichen Kette der Wesen).<br />

3. Das Prinzip der Gradation, welches <strong>die</strong> Naturdinge nach ihrem Vollkommenheitsgrad<br />

in einer hierarchisch abgestuften Ordnung (scala naturae) sieht. 117<br />

116 Arthur O. Lovejoy, Die große Kette der Wesen, Frankfurt 1993 (stw 1104).<br />

117 verkürzt nach Ilse Jahn, Rolf Löther, Konrad Senglaub, Geschichte der Biologie, Jena 1985, S.<br />

263. Eine substanzreiche Stu<strong>die</strong> <strong>zur</strong> Scala naturae bei Gerhard Wagenitz, Die „Scala naturae“ in der<br />

Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts und ihre Kritiker, in: Jahrbuch für Geschichte und Theorie der<br />

Biologie 4 (1997), S. 179–195.<br />

Die Idee der „scala naturae“ beinhaltet auch, dass bestimmte Grundeigenschaften des Lebens isoliert<br />

bereits in unbelebten Naturdingen vorkommen, <strong>die</strong> damit auf einer gleichsam vor-belebten Stufe<br />

verharren, aber zwischen den unbelebten und belebten Objekten vermitteln. Nach <strong>mein</strong>er Überzeugung<br />

<strong>ist</strong> der Begriff „quantity“ ideengeschichtlich an <strong>die</strong> deutschen Begriffe „Fülle“ (Arten-Fülle, engl.<br />

plethora) bzw. „Reichtum“ (Schöpfungs-Reichtum) anzuschließen, also in der Kontinuität des Ketteder-Wesen-Gedankens<br />

zu verstehen. Damit wird der Biodiversitätsbegriff zu einer heimlichen Fortsetzung<br />

von Ideen des 18. Jh.s: Eine Diversität des Lebens kann nur derjenige denken, der bestimmten<br />

Biologie-Konzepten anhängt, in denen Leben als additive Qualität auftritt. Dies gilt insbesondere<br />

für naturtheologische bzw. anim<strong>ist</strong>ische Varianten des scala naturae-Gedankens.<br />

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