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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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H<strong>ist</strong>orisierung der Schädlingsbekämpfung (2006)<br />

kämpfungsmethoden ein h<strong>ist</strong>orisches Optimum an Effizienz und Wirksamkeit<br />

bereitstellen. 11 Wiederholt wurde der ep<strong>ist</strong>emologische Zusammenhang zwischen<br />

der Bekämpfung tierlicher Schädlinge und der Massenvernichtung von Menschen<br />

in der Shoah abgeleitet. 12 Für <strong>die</strong> Herstellung <strong>die</strong>ses Zusammenhangs wurden auch<br />

jene Konstruktionen entscheidend, <strong>die</strong> sich um 1880 in dem neuen Wort „Schädling“<br />

verdinglichen. 13 Nach Auffassung der Hauptprotagon<strong>ist</strong>in <strong>die</strong>ser Sicht, Sarah<br />

Jansen, <strong>ist</strong> zudem <strong>die</strong> betonte Einbeziehung von ökonomischem Denken in <strong>die</strong><br />

Schädlingsbekämpfung eine zentrale Bedingung, aus der sich <strong>die</strong> Begünstigung des<br />

Absturzes in <strong>die</strong> moralische Katastrophe folgerichtig ergeben habe. Möglich, dass<br />

sich alle jene Faktoren in einem bestimmten h<strong>ist</strong>orischen Moment unter furchtbaren<br />

Folgen miteinander verbanden. Aber sämtliche äußere Faktoren, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

Zusammenführung von „Schädlingsdenken“ und der Shoah als bedeutend herangezogen<br />

werden, durchziehen auch <strong>die</strong> Menschheitsgeschichte seit der Erfindung<br />

des <strong>Acker</strong>baus und der Vorratshaltung. 14 Die Bewertung Jansens ergibt sich allein<br />

aus der Wahl ihrer Perspektive. Die Wortschöpfung „Schädling“ <strong>ist</strong> letztlich der<br />

zeitgenössische Ausdruck einer stetig gewachsenen Natureinsicht und einer Beherrschungsphantasie,<br />

vermittelt durch das Potential der damals aufstrebenden<br />

dynamischen Teerchemie. Das neu geschaffene Nomen be<strong>die</strong>nte sich bei dem<br />

11 Hier bleibt außen vor, dass <strong>die</strong>ser „Fortschritt“ z.B. Anlass für Carsons „Stummer Frühling“ war<br />

und <strong>die</strong> Belastung der Umwelt mit Pestiziden ein in seinen Konsequenzen bis heute ein nicht überschaubares<br />

Problem darstellt. - Eine „Geschichte der Schädlingsbekämpfung“ steht aus. Aus umweltgeschichtlicher<br />

Sicht liegen vor allem Beiträge über h<strong>ist</strong>orische Kalamitäten, etwa Heuschreckenzüge<br />

oder Forstschädlinge, vor. Es fehlt eine umfassendere Zusammenführung.<br />

12 Karl-Heinz Leven: Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert.<br />

Bd. 6 Fortschritte der Präventiv- und Arbeitsmedizin. Landsberg/Lech 1997.<br />

Vor allem: Sarah Jansen: „Schädlinge“ Geschichte eines wissenschaftlichen und politischen Konstrukts<br />

1840 – 1920. Frankfurt 2003. - In gedanklicher und inhaltlicher Verbindung hierzu: Sarah<br />

Jansen: Der ‚kranke deutsche Wald’: Krankheit und Körperlichkeit in der Bekämpfung von Insekten<br />

in Deutschland, 1840 – 1925. In: Chr<strong>ist</strong>oph Gradmann/Thomas Schlich (Hg.): Strategien der Kausalität.<br />

Konzepte der Krankheitsverursachung im 19. und 20. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1999, S.151 –<br />

184.<br />

13 So Jansen, Schädlinge, jedoch mit einer unbefriedigenden etymologischen Retrospektive, in der <strong>die</strong><br />

Vielschichtigkeit der Vorläuferbegriffe (z.B. „Ungeziefer“, „Geschmeiß“) praktisch unerwähnt bleibt.<br />

Warum sollte der Begriff des „Schädlings“ soviel unheilträchtiger als der schon vorher und seit vielen<br />

Jahrzehnten sehr gebräuchliche Ausdruck von den „kleinen Feinden der Landwirtschaft“ sein, in dem<br />

„klein“ eine Bezeichnung für <strong>die</strong> Größe der Lebewesen <strong>ist</strong> und nicht etwa für <strong>die</strong> Dimension der<br />

Bedrohung, im Gegenteil. Ich halte das Wort „Feind“ für nicht minder ideologieanfällig und hermeneutisch<br />

ausbeutbar als das Wort „Schädling“<br />

Außerdem <strong>ist</strong> der Mensch-Ungeziefer-Vergleich h<strong>ist</strong>orisch keine Erfindung der lingua tertii imperii bzw.<br />

seiner unmittelbaren Vorläufer. Als stellvertretendes Beispiel möge hier genügen: „Eine volle Million<br />

Juden zum allerwenigsten, wonen dermalen mitten unter den Europäischen Chr<strong>ist</strong>en zerstreut [...];<br />

und incommo<strong>die</strong>ren letztere, wie Zigeuner, Hamster, Tarkanen [d.i. Küchenschaben, B.H.] und Pest.“<br />

(aus: „Bürgerliche Verbesserung der Juden. Extract aus einer Menge von Druckschriften, <strong>die</strong> hierüber<br />

seit 12 Jahren im Publico erschienen sind“. In: August Ludwig Schlözer: Stats-Anzeigen 18, Heft 72<br />

(Dezember 1793), S. 482- 503, S. 483. Das Zitat verdanke ich dem freundlichen Hinweis von Herrn<br />

Dr.Wiard Hinrichs, Göttingen)<br />

14 Selbstverständlich ohne <strong>die</strong> chemischen Insektenvertilgungsmittel. Auch <strong>die</strong> Idee, zahlreiche Menschen<br />

gleichzeitig mit Gift (oder Krankheitserregern) umzubringen, <strong>ist</strong> kein originärer Gedanke des<br />

20. Jahrhunderts.<br />

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