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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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454<br />

Fachs und Begründung für <strong>die</strong> Stoffauswahl findet, sondern es über eine Eigenschaft<br />

(„Brückenfach“) definiert. „Brückenfach“ <strong>ist</strong> aber weder eine identitäts-<br />

oder kohärenz-, noch eine inhaltsstiftende Eigenschaft. Demgegenüber konnte z.<br />

B. das erste deutschsprachige Lehrbuch der Anthropologie nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg noch in seinem ersten Satz programmatisch behaupten: „Anthropologie<br />

<strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lehre von der Natur des denkenden Menschen.“ 833 So problematisch eine<br />

derartige Ontologie auch <strong>ist</strong>, ihr liegt immerhin ein inhaltliches Konzept, eine Generalhypothese,<br />

zugrunde. Was <strong>die</strong> im jüngst erschienen Lehrbuch präsentierten<br />

Sachverhalte zu elementaren Bestandteilen des Faches macht bzw. was <strong>die</strong> Nichtaufnahme<br />

anderer Themen begründet, wird dem Leser nicht vermittelt. Mit Verblüffung<br />

<strong>ist</strong> zu beobachten, dass dort, wo ein irgendwie interessantes Forschungsfeld<br />

vermutet oder thematisiert wird, allerme<strong>ist</strong> ein fremdbestimmtes Verwertungsinteresse<br />

herangezogen bzw. unterstellt wird. Das könnte sich ja einem Fach auf<br />

dem Weg <strong>zur</strong> Transdisziplinarität verdanken. Aber <strong>die</strong> im Lehrbuch praktizierte<br />

Wissenschaftssystematik ordnet sich einem heimlichen Relevanzkriterium unter,<br />

was der Aufgabe selbst- und freibestimmter Forschungsthematik gleichkommt.<br />

Davon abgesehen gehört es mit zu den Eigenheiten des Lehrbuchs, dass es (funktional<br />

und thematisch durchaus vertretbare) Übertretungen des biologischen Erkenntnisrahmens<br />

vornimmt, ohne an <strong>die</strong>ser Stelle auf <strong>die</strong> Andersartigkeit der Argumentation<br />

durch <strong>die</strong>se neue Kontextualisierung hinzuweisen. 834 Wiederum wird<br />

<strong>die</strong> eigentliche Perspektive des Ansatzes nicht in Produktivität grenzüberschreitender<br />

Wissensverknüpfung gewendet, weil <strong>die</strong> Grenzüberschreitung offenbar ohne<br />

Bewusstsein erfolgt, jedenfalls zu keiner wissenschaftstheoretisch erforderlichen<br />

neuen Positionsbestimmung führt. Das Lehrbuch legt also <strong>die</strong> Krise der biologischen<br />

Anthropologie offen und unterstützt <strong>mein</strong>e Eingangsdiagnose vom Ende<br />

einer kohärenten biologischen Anthropologie.<br />

In der Tat werden ganz allge<strong>mein</strong> biologisch-anthropologische Sachverhalte<br />

durchaus intensiv nachgefragt, aber mit dem ganz überwiegenden Zweck einer<br />

Nutzung in irgendwelchen andersfachlichen oder populären Zusammenhängen.<br />

Dort findet auch <strong>die</strong> Diskussion mit (und über) biologische Sachverhalte und ihre<br />

Bewertung statt. Wenn an <strong>die</strong>sen Diskussionen <strong>die</strong> biologischen Fachleute beteiligt<br />

werden, kommt der Dialog jedoch schnell zum Erliegen. Da <strong>ist</strong> zuerst der technische<br />

Grund: Zume<strong>ist</strong> geht es um Themen der Sozial- und Kulturwissenschaften,<br />

deren theoretische Fun<strong>die</strong>rung den me<strong>ist</strong>en biologischen Anthropologen weitgehend<br />

unbekannt <strong>ist</strong>. Hinzu kommt ein theoretischer Grund: Es ex<strong>ist</strong>iert seit dem<br />

19. Jahrhundert <strong>die</strong> Annahme von der Einheitlichkeit alles Humanen. Deshalb<br />

wird häufig auf „<strong>die</strong> Natur des Menschen“ abgestellt und damit <strong>die</strong> Biologie des<br />

Menschen als ver<strong>mein</strong>tlich sicherer archimedischer Punkt bemüht. Ich kann keinen<br />

erkenntn<strong>ist</strong>heoretischen Weg erkennen, mit dem es möglich wäre, beispielsweise<br />

833 Scheidt 1953, S. 7<br />

834 Damit wird gewissermaßen der Küchenlieferant mit dem chef de cuisine verwechselt. - Vgl. weiter<br />

unten: Kategoriefehler nach Ryle

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