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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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36<br />

Erstaunen entdeckt in <strong>die</strong>sem Moment schlicht <strong>die</strong> alltagsweltliche Lebenspraxis. 48<br />

Am einfachsten <strong>ist</strong> eine kontextuelle Definition des Schädlings, und <strong>die</strong> richtet sich<br />

zunächst immer lokal gegen konkrete Individuen einer Tierart. Bei näherer Prüfung<br />

stellt sich dann nämlich auch noch heraus, dass systematisch den Rechtsakten<br />

gegen Tierindividuen allerme<strong>ist</strong> strafrechtlich abgeleitete Vorgehensweisen zugrunde<br />

liegen. Gegen das Tier wird also wie gegen einen Straftäter verhandelt, und daher<br />

<strong>ist</strong> das immer ein individueller Akt.<br />

Es werden aber durchaus auch gegen das Kollektiv gerichtete Konzepte entworfen,<br />

wenn z. B. der Bischof von Lausanne 1479 49 <strong>die</strong> Maikäfer bannt. 50 Solche<br />

„Tierbannungen“ beruhen aber auf dem „auf kirchlichem Boden erwachsenen<br />

Justifizieren“ 51<br />

Der alltagspraktische Impuls einer Schädlingsbekämpfung mag ja durch <strong>die</strong><br />

Thesen von Descartes und Kant sehr erleichtert worden sein. Wenn Tiere seelenlose<br />

mechanische Apparate sind, ergeben sich kaum noch ethische Rechtfertigungsnotwendigkeiten<br />

wegen ihrer Tötung. Aber auch <strong>die</strong> ökonomische Werttheorie<br />

Thomas von Aquins stünde einer solchen Sichtweise überhaupt nicht im Wege.<br />

52 Doch <strong>ist</strong> mit der Tötung von Lästlingen/Schädlingen der theologische Konflikt<br />

durchaus nicht entschieden, der sich aus <strong>die</strong>sem Eingriff in <strong>die</strong> Schöpfung<br />

48 Es macht keinen Sinn, gleichzeitig gegen alle Mäuse der Welt anzutreten, wenn man Probleme mit<br />

den Nagern in einem bestimmten Weinberg hat.<br />

49 Hans Albert Berkenhoff: Tierstrafe, Tierbannung und rechtsrituelle Tiertötung im Mittelalter.<br />

Bühl/Bd. 1937. S.93 - weitere Beispiele in der immer noch grundlegenden Sammlung von Karl von<br />

Amira: Thierstrafen und Thierprozesse. Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung<br />

12, Heft 4 (1891), S. 545 – 601. Speziell zu Insektenprozessen und Insektenbeschwörungen<br />

siehe Fritz Bodenheimer: Materialien <strong>zur</strong> Geschichte der Entomologie bis Linné. Berlin 1928, Bd. I,<br />

S. 233 passim<br />

50 Zumindest von der Konzeption her <strong>ist</strong> eine Bannung <strong>die</strong> umfassendste denkbare normative Leitlinie.<br />

Natürlich kann <strong>die</strong> schon nach 10 km im Umkreis ihre Wirkung verlieren, weil sich möglicherweise<br />

weder Maikäfer noch Menschen an den Bannspruch halten.<br />

51 Zur Rechtssystematik, <strong>die</strong> bereits v. Amira herausgearbeitet, aber durch nomenklatorischen Unübersichtlichkeit<br />

verstellt hat, vorzugsweise Berkenhoff, Tierstrafe, S.7, S. 84 ff.<br />

52 Herrn Kollegen Marggraf, Agrarökonom in Göttingen, danke ich für den Hinweis auf das Aquinsche<br />

Wertmodell. Der ökonomische Wert von Naturdingen wird darin, sofern <strong>die</strong> Dinge käuflich<br />

sind, durch <strong>die</strong> Nützlichkeit für den Menschen bestimmt. Hierfür greift Thomas auf eine Setzung aus<br />

dem „Gottesstaat“ von Augustinus <strong>zur</strong>ück, <strong>die</strong> sehr aufschlussreich <strong>ist</strong>: „Die Art der Schätzung eines<br />

jeden Dinges <strong>ist</strong> je nach seinem Gebrauch verschieden, derart, dass wir sinnlose Wesen den Sinnenwesen<br />

vorziehen, und zwar so weitgehend, dass, wenn wir es könnten, wir sie völlig aus der Naturordnung<br />

beseitigen würden, sei es aus Unkenntnis ihres Standortes in ihr [in der Naturordnung] sei es trotz klarer<br />

Erkenntnis, weil wir sie hinter unsere Annehmlichkeiten stellen. Wer hätte zu Hause nicht lieber Brot<br />

als Mäuse oder Silbermünzen an Stelle von Flöhen? Was <strong>ist</strong> denn Verwunderliches daran, wenn bei<br />

der Einschätzung von Menschen, deren Natur doch wahrhaftig eine so große Würde besitzt, ein<br />

Pferd höher gewertet wird als ein Sklave, ein Schmuckstück mehr als eine Magd? So weicht <strong>die</strong><br />

Schauweise des nur Betrachtenden in der freien Urteilsgestaltung weit ab von der Not des Bedürftigen<br />

oder der Lust des Begierigen.“ Zit. übernommen aus dem Kommentar von A.Utz (S. 540) zu<br />

Thomas von Aquin: Summa Theologica II-II, Heidelberg u.a. 1953. [Hervorhebung durch BH] Die<br />

hervorgehobene Passage impliziert m.E. auch das Unwerturteil und Verhalten gegenüber den Schädlingen.

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