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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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H<strong>ist</strong>orisierung der Schädlingsbekämpfung (2006)<br />

7 Agenda<br />

Betrachtet man <strong>die</strong> Schädlingsbekämpfungsideen als Inversen von Wertschätzungsideen,<br />

gewinnt man zugleich Anhalt über <strong>die</strong> h<strong>ist</strong>orischen Verschiebungen<br />

von Wertvorstellungen innerhalb der Gesellschaft. Dabei soll das Zeitalter der<br />

Aufklärung und <strong>die</strong> Einsichten in den Haushalt der Natur besonders einflussreich<br />

gewesen sein. Wirklich? Immerhin wird schon 1335 in Zürich ein Singvogelschutz<br />

erlassen, weil <strong>die</strong> Vögel „muggen und ander gewurme tilggent und vertribent.“ 89<br />

Größer sollte <strong>die</strong> Einsicht in das antagon<strong>ist</strong>ische Verhältnis zwischen Vögeln und<br />

Insekten aus der Sicht des schädlingsgeplagten Menschen bis auf den heutigen Tag<br />

nicht werden. 90<br />

Unter den h<strong>ist</strong>orischen Erzählungen <strong>ist</strong> der Mythos vom Para<strong>die</strong>s mit einer<br />

ganzen Gattung vertreten: Sagenhafter Tierreichtum zu früheren Zeiten <strong>ist</strong> darin<br />

ein bekanntes topisches Element. Andere Erzählungsmythen zielen auf Gesindeverträge,<br />

worin sich Be<strong>die</strong>nsteten verbeten hätten, mehr als 3 Tage in der Woche<br />

Krebse. Lachs oder Hasenbraten vorgesetzt zu bekommen. 91 Solche Erzählungen<br />

haben bei Theoretikern der Umwelt-Depravation Konjunktur. Das Prinzip der<br />

Erzählungsgattung zielt darauf, dass es „früher“ von den uns heute wertvollen Dingen<br />

„mehr“ gab. 92 In h<strong>ist</strong>orischen Quellen werden von den Zeitgenossen häufig Zunahmen<br />

von Individuenzahlen selbst bei solchen Arten, <strong>die</strong> nicht Bekämpfungs-<br />

oder Schutzmaßnahmen unterliegen, entweder überhaupt nicht reg<strong>ist</strong>riert oder eine<br />

Zunahme wird in doppelt negativer Weise als übles Prodigium gewertet, als Beleg<br />

für eine Störung der sogenannt natürlichen Verhältnisse konnotiert. Etwa, wenn<br />

seltene Vögel in Massen einfallen 93. Selbst Erzählungen über Massensterben von<br />

Ratten in Zeiten der Pest dürften topischen Charakter haben. Der Verlust von<br />

Lästlingen oder Schädlingen wird nicht weiter thematisiert, so dass nicht einmal<br />

Angaben zu ihrer (relativen) Häufigkeit möglich sind. Andererseits fehlt den h<strong>ist</strong>orischen<br />

Zahlen <strong>die</strong> Vergleichsbasis: Im 18. Jh. beispielsweise, aus dem Abschussl<strong>ist</strong>en<br />

erhalten sind, wurden allein in Alt-Preußen, und ähnlich im Herzogtum Celle-<br />

Lauenburg, über Jahrzehnte jährlich ca 60.000 Greifvögel als Schädlinge geschossen.<br />

Die Preußen entnahmen über eine Kopfsteuer im 18. Jh. jährlich ca. 350.000<br />

89 Günter Heine: Ökologie und Recht in h<strong>ist</strong>orischer Sicht. In: Hermann Lübbe/Elisabeth Ströker<br />

(Hg.): Ökologische Probleme im kulturellen Wandel. Paderborn 1986. S. 116 – 134. S. 126<br />

90 Gedenkt man der 1685/1686 erlassenen Schutzvorschriften für Nachtigallen (Halle, Brandenburg)<br />

aus ästhetischen Gründen (Wertschätzung des Gesangs), wendet sich der Mensch den Tieren auch<br />

aus interesselosem Wohlgefallen zu. Das <strong>ist</strong> nun freilich doch nicht ganz „interesselos“, denn es nützt<br />

der Verbesserung der Selbstbefindlichkeit.<br />

91 Herrmann, Krebse, Lachs und Hasenbraten<br />

92 Sympathiekundgebungen für Schädlinge sind h<strong>ist</strong>orisch im kulturellen mainstream nicht belegt,<br />

selbst heute haben sie Fürsprecher lediglich unter Systembiologen. Immerhin hat es der Maikäfer bis<br />

in ein bekanntes deutsches Chanson geschafft („Es gibt keine Maikäfer mehr“). Das schließt aber<br />

keineswegs an seine Rolle als h<strong>ist</strong>orischer Forstschädling an. Dagegen <strong>ist</strong> „La Cucaracha“ trotz des<br />

Titels kein Lied auf <strong>die</strong> Küchenschabe (Blatta orientalis).<br />

93 Siehe <strong>die</strong> zahlreichen Einzelbelege bei Ragnar Kinzelbach/Jochen Hölzinger (Hg.): Marcus zum<br />

Lamm (1544 – 1606). Die Vogelbücher aus dem Thesaurus Picturarum. Stuttgart 2000<br />

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