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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Formulierung von Karl Marx an, nach dessen Einsicht es eine spezifisch menschliche<br />

Qualität <strong>ist</strong>, dass er der Natur selbst als Naturmacht gegenüber trete. 417 Erprobte<br />

man Godeliers Setzung in einem evolutionsbiologischen Rahmen, müsste<br />

man den Kaninchen, den Bibern, den Radnetzspinnen und riffbauenden Korallen<br />

usw. auch Geschichtsmacht zuschreiben, wenn mit dem „Verhältnis <strong>zur</strong> Natur“<br />

nicht zugleich ein reflektorisches Verhalten mit in Anspruch genommen wird. Zweifellos hat<br />

Godelier <strong>die</strong>sen Aspekt im Blick. Das Problem <strong>ist</strong> damit aber immer noch nicht<br />

befriedigend überwunden, weil <strong>die</strong> Reflexion von dem Ziel weggelenkt werden<br />

müsste, dass sich der Mensch setzt, hin auf das Ergebnis in der Natur. Nur wenn das<br />

sichtbare Ergebnis in der Natur eine Folge seines von ihm selbst veränderten Verhältnisses<br />

<strong>zur</strong> Natur <strong>ist</strong>, fiele es unter Godeliers Geschichtsdefinition. Illustrierendes<br />

Beispiel: Die Ex<strong>ist</strong>enz der Zuckerrübe <strong>ist</strong> das Ergebnis menschlicher Geschichte,<br />

weil ihr ein Züchtungsvorgang zugrunde liegt. In ihm <strong>ist</strong> das Verhältnis<br />

<strong>zur</strong> Natur verändert. Kritisches Beispiel: Hingegen wäre <strong>die</strong> Auswahl von Pflanzen<br />

als essbar bzw. nicht essbar zunächst kein geschichtsbildender Akt, weil ein Hamster<br />

genau so verfährt. Während wir vom Menschen aber wissen, dass <strong>die</strong>se Auswahl<br />

durchaus von seinem reflektierten Verhältnis <strong>zur</strong> Natur bestimmt sein<br />

kann, 418 haben wir vom Hamster keine solche Kenntnis. Also verdankt sich Godeliers<br />

Einsicht einer emischen Betrachtung und keiner etischen. Sein Kriterium erfasst<br />

damit keine objektive Eigenschaft, wie seine Setzung suggeriert. Es müsste<br />

deren Ergebnis Winiwarter & Schmid (2008, S.161) vorschlagen, „sozionaturale Schauplätze“ als Untersuchungsgegenstände<br />

der <strong>Umweltgeschichte</strong> einzuführen. „Die Metamorphose sozionaturaler Schauplätze,<br />

der Prozess ihres Wandels, <strong>ist</strong> <strong>Umweltgeschichte</strong>.“ (Hervorhebung im Original)<br />

417 Marx [1968 S.192]. Ein ähnlich populäres Schlagwort lautet „the environment transforms the<br />

animal, while man transforms the environment.” Es handelt sich um eine Setzung von L.F.Ward<br />

(1903). Spätestens seit Steward (1955) <strong>ist</strong> ein solcher Ansatz, seiner scheinbaren Richtigkeit zum<br />

Trotz, überholt. Das Zitat lautet im Zusammenhang: “It is this fact of permanent human achievement<br />

that makes the broad d<strong>ist</strong>inction between animal and human societies. Just as there is a radical<br />

difference between cosmic and organic evolution, […] so there is a radical difference between organic<br />

and social evolution. The formula that expresses this d<strong>ist</strong>inction the most clearly is that the<br />

environment transforms the animal, while man transforms the environment. Now it is exactly this transformation<br />

of the environment that constitutes achievement. The animal achieves nothing. The organic<br />

world is passive. It is acted upon by the environment and adapted to it. And although it is true that<br />

in the structural modifications that constitute such adaptation the efforts and activities of the organism<br />

play a prominent part, still even this is only a reflex response to the pressure from without, and<br />

really constitutes a part of the environment. Man, on the contrary, as a psychically developed being,<br />

and in increasing degrees in proportion to his psychic development, is active and assumes the initiative,<br />

molding nature to his own use.” (Ward, S. 16-17, Hervorhebung im Original).<br />

Diese Textpassage wird von Park u. Burgess aufgegriffen (1921, S. 718), deren Veröffentlichung den<br />

Beginn der sozialwissenschaftlich vermittelten Humanökologie begründet. Von hier fand Wards<br />

Diktum seinen Weg auch in <strong>die</strong> umwelth<strong>ist</strong>orischen Diskurse. Da Park u. Burgess nur den bei Ward<br />

kursiv gesetzten Ausdruck übernahmen, entgeht den Zitierern aus zweiter Hand vor allem <strong>die</strong> Vorstellung<br />

Wards von einer „passiven organischen Welt“. Seine Zeugenschaft <strong>ist</strong> von zweifelhaftem<br />

Wert, weil sie dem Tier-Mensch-Vergleich unterstellt, dass „molding nature to his own use“ ein<br />

besonderes Alleinstellungsmerkmal wäre, ein evolutionsh<strong>ist</strong>orisch teleologisches Element. Dies trifft<br />

zumindest auf einige Tierarten nicht zu und <strong>ist</strong>, wegen des verfolgten teleologischen Prinzips, ohnehin<br />

abzulehnen. Eine sozialwissenschaftliche Gegenposition vertreten z.B. Catton & Dunlap (1980).<br />

418 Zu denken <strong>ist</strong> an Tabuisierungen; an komplexere Handlungsweise bei Coevolutionen (z.B. bei<br />

Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel und gleichzeitigem Favabohnen-Konsum in Malaria-<br />

Gebieten), usw.

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