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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Kartoffel, Tod und Teufel (2009)<br />

hielt am Ende hüben wie drüben Militärs davon ab, den Kartoffelkäfer wirklich<br />

einzusetzen. Statt mit unhandlichen Metazoen sind <strong>die</strong> Bio-Waffen-Arsenale heute<br />

mit einzelligen Mikroorganismen und viralen Partikeln gefüllt – soweit man weiß.<br />

Wie harmlos und langwierig nehmen sich mögliche Sabotage-Akte mit Kartoffelkäfern<br />

aus neben den heute realen und mit sofortigen Wirkungen verbundenen Möglichkeiten<br />

<strong>zur</strong> Kontamination bzw. Infektion ganzer Bevölkerungen oder biologischer<br />

Ressourcen. Aber für <strong>die</strong> Entwicklung eines solchen Denkens in den Kategorien<br />

Biologischer Kriegführung bzw. der Entwicklung von Biowaffen steht der<br />

Kartoffelkäfer zusammen mit den Pesttoten, <strong>die</strong> 1347 über <strong>die</strong> Mauern nach Kaffa<br />

hinein geschossen wurden, am Beginn einer schlimmen Reihe von heute apokalyptischer<br />

Dimension.<br />

Wurde <strong>die</strong> biologische Waffe auch nicht bis zu ihrem Einsatz entwickelt, so wurde<br />

sie erfolgreich in der Propaganda des Kalten Krieges eingesetzt. Heute noch wirken<br />

<strong>die</strong> Propagandabehauptungen nach, nach denen <strong>die</strong> Amerikaner Ende der<br />

1940er Jahre Colorado-Käfer über der DDR abgeworfen hätten. 648<br />

Kartoffel, Kartoffelfäule und Kartoffelkäfer verbinden sich im hier behandelten<br />

Beispiel zu einem Beziehungs- und Wirkungsgeflecht. Es macht deutlich, wie sehr<br />

<strong>die</strong> autonomen Prozesse, denen <strong>die</strong> natürlichen, vom Menschen genutzten Ressourcen<br />

unterliegen, menschliche Handlungen beeinflussen. Am Ende bewegen<br />

sich zahlreiche, vom Menschen für genuin gesellschaftlich gehaltene Entscheidungen<br />

lediglich an der langen Leine unhintergehbarer biologischer Prinzipien. Die<br />

immer vollendetere Unterwerfung der Natur unter <strong>die</strong> Bedürfnisse des Menschen<br />

649 verleitet <strong>zur</strong> Annahme, dass <strong>die</strong> Komplexität des Miteinanders menschlicher<br />

Entscheidungen und autonomer naturaler Prozesse durch verkürzte ingenieurtechnischer<br />

Le<strong>ist</strong>ungen zu moderieren sei. Tatsächlich lehrt <strong>die</strong> Kartoffelgeschichte,<br />

dass Folgen und Nebenfolgen menschlicher Handlungen in allen Berei-<br />

648 Ein glaubwürdiger Gesprächspartner, Geburtsjahrgang 1935, hat mir gegenüber geäußert, dass ihn<br />

seine Kriegserlebnisse in der Heimatstadt Augsburg dazu geführt hätten, der Propaganda als ver<strong>mein</strong>tlich<br />

wahrer Geschichte zu glauben. Denn: In den Kriegsjahren wären von alliierten Flugzeugen<br />

kleine, damals kostbare Gegenstände wie Füllfederhalter abgeworfen worden, <strong>die</strong> beim Aufnehmen<br />

in der Hand explo<strong>die</strong>rten. Deshalb habe er angenommen, wer zu solchen Taten (allererst gegen<br />

Kinder) fähig sei, der werfe auch Kartoffelkäfer ab. An dessen Bekämpfung hatte er als Schüler noch<br />

im Rahmen des Kartoffelkäfer-Abwehr<strong>die</strong>nstes teilgenommen.<br />

649 Eine der Speerspitzen der Aufklärung formuliert es in seinem Schlüsseltext so: „Die Einteilung der<br />

menschlichen H<strong>ist</strong>orie wollen wir nach dem Zustand und der Beschaffenheit der Natur selbst unternehmen,<br />

als <strong>die</strong> in dreifachen Zustand gesetzt erfunden wird und gleichsam eine dreifache Regierung<br />

eingeht. Denn entweder <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Natur frei und erklärt sich durch ihren gewöhnlichen Lauf, wie an den<br />

himmlischen Körpern, den Tieren, den Pflanzen und dem ganzen Vorrat der Natur; oder sie wird<br />

durch bösartige Ungewöhnlichkeiten eines unbändigen Stoffes und durch <strong>die</strong> Gewalt der Hindernisse<br />

außer ihren Zustand gestoßen, wie in Missgeburten; oder sie wird endlich von der menschlichen<br />

Kunst und Arbeit gebunden, gestaltet und gleichsam erneuert, wie an den Kunstsachen zu sehen.<br />

Also teilt sich <strong>die</strong> natürliche H<strong>ist</strong>orie in <strong>die</strong> H<strong>ist</strong>orie der Zeugungen, der Miss-Zeugungen und der<br />

Künste, welche letztere man auch Mechanik und <strong>die</strong> Erfahrende Naturlehre zu nennen gewohnt <strong>ist</strong>.<br />

Die erste behandelt <strong>die</strong> Freiheit der Natur, <strong>die</strong> zweite <strong>die</strong> Fehler, <strong>die</strong> dritte <strong>die</strong> Bande.“ Bacon, S. 173<br />

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