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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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100 Me<strong>ist</strong>erwerke (2010)<br />

Schorger, schätzte, dass <strong>die</strong> Gesamtpopulation der Tauben 3 Milliarden Individuen<br />

betragen haben könnte, und dass zeitweilig 25-40% der gesamten Avifauna der<br />

Vereinigten Staaten aus Wandertauben bestanden. Schorger hat auch <strong>die</strong> Berichte<br />

über Schwärme zusammengestellt, aus deren Dauer, Fluggeschwindigkeit und<br />

Dichte auf <strong>die</strong> Individuenzahl geschätzt wurde. Seine Nachberechnungen lassen<br />

Zweifel an den astronomischen Zahlen früherer Autoren aufkommen, führen aber<br />

immer noch zu unglaublich hohen Zahlen, in einem Fall etwa zu einer Schwarmgröße<br />

von 1.000.000.000 Individuen. 801 Es verwundert daher nicht, dass angesichts<br />

solcher Mengen <strong>die</strong> Taubenjagd in jedem Fall erfolgreich war. Man hielt z. B. <strong>die</strong><br />

Schrotflinte ohne besonderes Zielen in Richtung des Schwarms und der „Jagderfolg“<br />

war auch dem Ungeschicktesten gesichert. Die Tauben wurden auf alle erdenkliche<br />

Weise erlegt, es gab sie so reichlich, das sie mit Knüppeln von den Bäumen<br />

geschlagen werden konnten. Sie entwickelten sich zu einem besonders im 19.<br />

Jahrhundert im Osten der USA verbreiteten und beliebten Nahrungsmittel. 802<br />

Über alle möglichen Ursachen <strong>ist</strong> wegen des Aussterbens der Wandertaube spekuliert<br />

worden. Die herkömmlichste Erzählung spricht von einer Kombination aus<br />

Überjagung der Wandertaube, dem Verlust der Futterplätze und der Einschränkung<br />

ihres Lebensraumes infolge der europäischen Kolonisierung Nordamerikas.<br />

Immerhin handelt es sich um einen sozialen Brüter, der jährlich nur ein einziges Ei<br />

legte. Damit waren <strong>die</strong> sonst bei Vögeln gängigen Kompensationsmuster für Brutausfälle<br />

nicht so einfach zu realisieren, eine rasche Abnahme der Individuenzahlen<br />

vorausgesetzt. Eine solche Zahlenreduktion könnte den Zerfall der Gesamtpopulation<br />

in Subpopulationen <strong>zur</strong> Folge gehabt haben, wobei dysfunktional verstärkend<br />

<strong>die</strong> Ausbreitungskorridore unterbrochen gewesen sein könnten. Damit wäre <strong>die</strong><br />

Taube in eine sich selbst beschleunigende Populationskrise geraten. Vermutlich<br />

trat verstärkend noch eine bis heute unbekannte Vogelseuche auf. 803<br />

Über <strong>die</strong> Ursachen des Endes der Taube herrscht kein Dissens. Es <strong>ist</strong> allge<strong>mein</strong><br />

akzeptierter Wissensstand, dass <strong>die</strong> Ursachen im Wesentlichen anthropogen bedingt<br />

waren. Die Klage über das menschliche Handeln fällt dabei umso massiver<br />

aus, weil sie sich an der h<strong>ist</strong>orisch belegten unvorstellbar hohen Individuenzahl der<br />

Tauben festmacht. Das Entsetzen drückt <strong>die</strong> Fassungslosigkeit über <strong>die</strong> Tatsache<br />

aus, wie ehedem Milliarden von Tieren so völlig verschwinden können.<br />

801 Schorger 1955, S. 203<br />

802 Schorger 1955, ab S. 129<br />

803 Alle vorgebrachten Gründe für das Aussterben in Schorger (1955) Kap. 9., einschließlich der<br />

absurden, <strong>die</strong> von einem Massenertrinken im Golf von Mexiko oder einem „Auswandern“ nach<br />

Südamerika ausgehen. Diese Hypothesen schließen erkennbar an Vorstellungen an, wie sie dem Zitat<br />

von Mather aus dem frühen 18. Jh. Zugrunde liegen, das Walton Ford auf den unteren Bildrand<br />

geschrieben hat.<br />

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