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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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<strong>Umweltgeschichte</strong> wozu? (2009)<br />

schäftigung mit <strong>Umweltgeschichte</strong> lernen zu können. Denn sie befasst sich mit<br />

dem, was ich wiederholt als „Langzeitversuche unter natürlichen Bedingungen“<br />

bezeichnet und dabei bewusst den Jargon der experimentellen Naturwissenschaften<br />

verwendet habe. Das eindrucksvollste Argument stammt vom Wegbereiter der<br />

deutschen <strong>Umweltgeschichte</strong>, Arno Borst (1990, S. 563), der <strong>die</strong> Bedeutung des<br />

Erdbebenereignisses von 1348 für heutige gesellschaftliche Aufgaben (in <strong>die</strong>sem<br />

Falle der Katastrophenforschung) auf einen allge<strong>mein</strong>gültigen Nenner brachte:<br />

„Nur wer <strong>die</strong> Geschichte nicht kennt, <strong>ist</strong> dazu verdammt, sie zu wiederholen.“<br />

Die Anfänge der <strong>Umweltgeschichte</strong> lassen sich in einem damals aktuellen Katastrophendiskurs<br />

und in der Fortschrittsmüdigkeit der 60er Jahre ausmachen.<br />

Verschmutzung der Umwelt allenthalben, depravationstheoretische Erwägungen<br />

und <strong>die</strong> Hoffnung auf <strong>die</strong> Erklärungsmacht der aufstrebenden Ökologie bündelten<br />

das Forschungsinteresse auch auf eine h<strong>ist</strong>orische Perspektive. 464 Niedergangsszenarien<br />

sollen nun für das europäische Selbstverständnis h<strong>ist</strong>orisch geradezu konstitutiv<br />

sein. 465 Solchen Erwartungshaltungen wäre eine Katastrophenfixiertheit dann<br />

auch in gewissem Maße selbstverständlich und damit erklärbar, warum <strong>die</strong> Anfänge<br />

der <strong>Umweltgeschichte</strong> übermäßig lange um einschlägige Themen kre<strong>ist</strong>en.<br />

Erkenntnis bzw. <strong>die</strong> ihr vorgeordneten Einsichten und Erfahrungen, hängen<br />

nun ab von den h<strong>ist</strong>orischen Umständen ihrer Gewinnung. Man wird sich deshalb<br />

nicht wundern können, dass mit zunehmendem Verständnis für <strong>die</strong> Komplexität<br />

ökologischer Systeme sich <strong>die</strong> Einordnung umweltrelevanter Meinungen oder Beobachtungen<br />

mit den kulturellen Selbstverständnissen wandeln, somit auch der<br />

Blick darauf, was eigentlich eine Katastrophe sei oder in sie führe. So konnte noch<br />

zu Beginn des 19. Jh. <strong>die</strong> Idee von Charles Fourier (1772- 1837), durch spiegelgeführte<br />

Sonnenwärme <strong>die</strong> Polkappen abzuschmelzen, als bloße Phantasterei belächelt<br />

werden. 466 Seine Vorstellung versetzte aber <strong>die</strong> Menschheit damals – anders<br />

als heute – keineswegs in „denkhemmende Angst“ (Riechelmann). Das 19. Jahrhundert<br />

hatte seinen Blick auf <strong>die</strong> Schornsteine des Gewerbefleißes gerichtet, sich<br />

an ihren Rauchfahnen erfreut und sie als Fortschrittssymbole gefeiert, konnte sich<br />

im selben Atemzug aber durchaus auch am Pathos einer Landschaften delektieren,<br />

<strong>die</strong> u.a. von den englischen Kontinentreisenden am Rhein oder sonst wo entdeckt<br />

worden waren und seitdem das Gemüt erheben. Im Namen des Fortschritts und<br />

der Hygiene hat Deutschland im 19. Jh. Flüsse begradigt, 467 Feuchtbiotope tro-<br />

464 „Es gehört zum H<strong>ist</strong>orismus unserer Gegenwartskultur, dass jedes neu auftauchende Problem alsbald auch in<br />

h<strong>ist</strong>orischer Beleuchtung vorgeführt wird. Philosophen zumal sind, in gewissen Schultraditionen, gewohnt, anstatt im<br />

Rahmen ihrer Möglichkeiten Antworten auf eine gestellte Frage zu geben, sich alsbald darüber zu verbreiten, in welchen<br />

evolutionären Variationen <strong>die</strong> einschlägige Frage früher auftrat und wie <strong>die</strong> einschlägigen Antworten früherer<br />

Philosophen lauteten.“ Lübbe, S. 9<br />

465 Das Geschichtsbild der europäischen Zivilisation <strong>ist</strong> nach der Einsicht Sieferles (2008) in hohem<br />

Maße von der Erfahrung von Zusammenbruch und Ruinerwartung geprägt.<br />

466 Cord Riechelmann, Frankfurter Allge<strong>mein</strong>e Zeitung Nr. 286 (2007), S.Z5; vgl. auch Benjamin, S.<br />

699<br />

467 Es genügt hier der Hinweis auf <strong>die</strong> Rheinrektifikation durch Tulla (ab 1809) als eine der ersten<br />

Maßnahmen<br />

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