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Studia SlavicaSavariensia 1999

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<strong>Studia</strong> Slavica Savariensia <strong>1999</strong>.<br />

Währenddessen ließ Kálmán Tisza die Frage, ob Rußland nicht doch<br />

militärisch anzugreifen sei, nicht in Ruhe. Am 14. Februar 1878, als er sich mit<br />

einem sechs Seiten langen Brief an Andrássy wandte, war er sich über den<br />

Standpunkt des Außenministers wahrscheinlich noch nicht im klaren. Sehr<br />

vorsichtig spornte er Andrássy zu energischem Auftreten an. Tiszas Brief war<br />

die Reaktion darauf, daß sich Andrássy mit dem Vorschlag, die Balkan-Frage<br />

nach dem russisch-türkischen Krieg auf einer Konferenz der Großmächte zu<br />

lösen, an die europäischen Mächte gewandt hatte. (Aufgrund dieses Vorschlages<br />

von Andrássy wurde der Berliner Kongreß, der am 13. Juni 1878 begann,<br />

organisiert.) Tisza schrieb, daß mit diesem Vorschlag für eine Konferenz der<br />

Augenblick gekommen sei, schnell und energisch Entscheidungen in bezug auf<br />

die Frage Krieg oder Frieden zu treffen, wenn man die Interessen der Monarchie<br />

nicht weiter gefährden wolle. Er erinnerte Andrássy daran, daß er ihn auch schon<br />

früher darum gebeten hatte, einen Krieg im Interesse der Monarchie und<br />

Ungarns möglichst zu vermeiden. Seine diesbezüglichen Hoffnungen hätten sich<br />

jedoch stark verringert – schrieb er, er hielt eine Lösung durch einen Kongreß<br />

oder eine Konferenz nur dann mit ihren Interessen vereinbar, wenn der Kongreß<br />

so schnell wie möglich zusammengerufen würde und mit seiner Arbeit beginnen<br />

könnte. Diese Trödelei bedeute für die Monarchie, daß sie einen eventuellen<br />

Krieg unter immer ungünstigeren Umständen auf sich nehmen werden müsse.<br />

Tisza warf die Frage auf, was in dem Falle passieren würde, wenn die<br />

Beschlüsse der Konferenz in irgendeinem Punkt die Interessen der<br />

Österreichisch-Ungarischen Monarchie verletzen würden? Dieser Aspekt dürfe<br />

nicht außer Acht gelassen werden und fordere dringend ein entschlossenes<br />

Auftreten. Dann fügte er sich wierderholend hinzu, daß es sicher besser wäre,<br />

die existentiellen Interessen der Monarchie mit friedlichen Mitteln zu<br />

gewährleisten, aber wenn nach menschlichem Ermessen dies nicht möglich sei,<br />

sollte lieber jetzt im Interesse der Selbstverteidigung zur Waffe gegriffen<br />

werden, als daß man später gezwungen sei, dies unter ungünstigeren<br />

Bedingungen zu tun. Mit Recht stellt sich hier ein Zweifel an der Ehrlichkeit<br />

Tiszas ein – oder sollte es sich dabei eher um einem diplomatischen Schachzug<br />

seinerseits handeln, wenn er vom Vorrang einer friedlichen Lösung schreibt.<br />

Tisza wußte nicht, daß er bei Andrássy offene Türen einrannte.<br />

Andrássys Antwort kam prompt. In dem Antworttelegramm heißt es, daß er mit<br />

Beruhigung den Brief gelesen habe und ihm danke. Die Entscheidungen der<br />

gemeinsamen Sitzung des Ministerrates vom Oktober 1875 sind uns bereits<br />

bekannt. Der Krieg gegen Rußland wurde von der Tagesordnung genommen,<br />

auch im Briefwechsel zwischen Andrássy und Tisza kam er nie wieder zur<br />

Sprache. Zum Hauptthema zwischen ihnen und auch ganz allgemein gesehen<br />

fürs ganze Land wurde die Bosnien-Herzegowina-Frage.<br />

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