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Studia SlavicaSavariensia 1999

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<strong>Studia</strong> Slavica Savariensia <strong>1999</strong>.<br />

schöpferische, erfindungsreiche Intelligenz bezeichnet. Das Seicento trennt den<br />

Begriff ingegno scharf vom intellectum, wobei man sich auf die antike<br />

Unterscheidung dieser beiden Begriffe und die Zugehörigkeit des ingenium zum<br />

Bereich des Begriffs inventio beruft. Im 17. Jahrhundert erhält der Begriff ingenium<br />

- im Unterschied zu den antiken Rhetoriken - die Bedeutung des ästhetisch<br />

wertvollen. Im Unterschied zum intellectum, der Fähigkeit der sinnreichen,<br />

rationalen Analyse, deren Wirkung sich auf das Mimetische beschränkt, wird der<br />

Begriff ingegno als kreatives Prinzip hervorgehoben, das in den Bereich des<br />

Phantastischen eindringt und die Fähigkeit bedeutet, zwischen den entferntesten<br />

Gegenständen und Erscheinungen schnelle und blitzartige Analogien zu bilden, das<br />

Vermögen, Nichtzusammengehöriges auf verblhffende Weise zu sammeln und zu<br />

verdichten, die Fähgkeit, spielerische Kombinationen zu schöpfen, die Möglichkeit<br />

von schauspielerischer, komödiantischer Reproduktion, die mutige Schöpfung von<br />

Erstaunlichem und Ungewohntem und sogar Besessenheit, Raserei und<br />

Verrücktheit. Der seit Platon bis zu den Neoplatonikern lebendige Gedanken von<br />

der göttlichen Verrücktheit der Dichter, die als einzige die metaphysische Wahrheit<br />

zu erfassen in der Lage sind, ist auch im Seicento aktuell, obwohl man in den<br />

Barockpoetiken nicht zur Erkenntnis dieser höheren Wahrheit strebt. Denn weder<br />

bei Tesauro noch bei Pellegrini ist die Rede von der Erkenntnis der Wahrheit,<br />

sondern sie begreifen den Begriff ingegno als Freiheit der Phantasie, als Freiheit<br />

des Dichters über das Thema und im Thema. Tesauro sagt, daβ ingegno sei die<br />

Fähigkeit, etwas hervorzubringen, was es nicht gibt, sei die gottänliche Kunst "aus<br />

einem Nicht - Seienden (non ente) ein Seiendes (ente) zu machen, aus dem Löwen<br />

einem Menschen, aus dem Adler eine Stadt." 3 Für Tesauro bedeutet Phantasie<br />

weder die Fähigkeit, die Vorstellungen nach der Erinnerung schafft noch die Kraft,<br />

die Abstraktes in Konkretes verwandelt, sondern sie ist diejenige Kraft, die das<br />

Nicht-Gesehene, Nicht-Existierende schafft. Ebenso ist Phantasie für Tesauro<br />

weniger die Fähigkeit des Schaffens in Bildern als vielmehr die Fähigkeit der<br />

mechanischen Kombinatorik und der mathematischen Kombination. So hat das<br />

neue Verständnis des ingegno in den Barockpoetiken die traditionelle Verbindung<br />

der Begriffe ingenium und iudicium unterbrochen.<br />

Aus dem so verstandenen Begriff ingegno im Seicento kann man auch den<br />

dritten dominanten Begriff der Barockpoetik, den bereits erwähnten Begriff<br />

acumen, acutezza, bzw. argutezza verstehen. Für Tesauro ist die Scharfsinnigkeit,<br />

der scharfsinnige Geist die Hauptfigur des concetto. 4 Für Gracián ist die<br />

Scharfsinnigkeit auch die Grundlage des concetto, das ist das geistreiche Spiel, das<br />

für eine Reihe antiker und zeitgenössischer Dichter, insbesondere für Martial und<br />

3 E. Tesauro a.a.O., S. 85.<br />

4 Ibid., S. 85 ff.<br />

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