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Lebenslagen im Land Bremen Armuts - Bremische Bürgerschaft

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nannten <strong>Lebenslagen</strong>ansatz, der auch den Berichten des Bundes zugrunde liegt. Armut als<br />

Lebenslage umfasst neben dem Einkommen auch die Aspekte Bildung, Gesundheit und<br />

Wohnen sowie gesellschaftliche Partizipation. Ergeben sich in mehreren dieser Lebensbereiche<br />

problematische Entwicklungen, kann dies zu Prozessen sozialer Ausschließung führen<br />

und ebenfalls zur Verfestigung von Armut. Seit dem zweiten Bundesbericht aus dem<br />

Jahre 2005 wird versucht, den in Deutschland dominierenden <strong>Lebenslagen</strong>ansatz mit den<br />

Konzepten der Teilhabe und der Verwirklichungschancen zu verbinden.<br />

Das Konzept der Verwirklichungschancen geht auf den indischen Ökonom Amartya Sen<br />

zurück. Er betont vor allem die Wechselwirkungen zwischen individuellen Fähigkeiten und<br />

Kompetenzen sowie den gesellschaftlich bedingten Chancen, diese tatsächlich auch verwirklichen<br />

zu können. Chancen eröffnen vor allem die Zugänge zum Bildungs- und Gesundheitssystem,<br />

zum Erwerbssystem, zu angemessenem Wohnraum, zur politischen Partizipation<br />

sowie der Schutz vor Gewalt oder Kr<strong>im</strong>inalität. Bewusst spricht Sen von Verwirklichungschancen<br />

und nicht allein von Selbstverwirklichung. Für ihn sind materielle Ressourcen und<br />

Rechtsansprüche unverzichtbare Voraussetzungen, eröffnen aber lediglich die Möglichkeiten<br />

von Teilhabe. Das Ziel sozialstaatlicher Intervention bestehe nicht darin, das Teilhabeergebnis,<br />

also individuelle Lebensweisen anzugleichen, sondern Ungleichheiten bereits bei den<br />

Verwirklichungschancen zu reduzieren 19 .<br />

In Deutschland hat sich der Begriff der Teilhabe in den letzten Jahren zu einem Leitkonzept<br />

der wissenschaftlichen und politischen Verständigung über die Zukunft des deutschen Sozialmodells<br />

entwickelt. Eine vollständige Teilhabe wird gefährdet durch Benachteiligungen und<br />

Hemmnisse <strong>im</strong> Bildungssystem, bei der Berufsbildung und den Beschäftigungsmöglichkeiten,<br />

in der Gesundheitsversorgung, <strong>im</strong> Wohnungswesen sowie be<strong>im</strong> Zugang zu Rechten und<br />

zur Kultur. Erfahrungen sozialer Ausschließung könnten aber auch durch Diskr<strong>im</strong>inierung<br />

und Fremdenfeindlichkeit entstehen sowie durch die unterschiedliche Qualität des Zugangs<br />

zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen 20 . Zugespitzt formuliert, markiert der Teilhabebegriff<br />

die Schwelle, deren Unterschreiten öffentliches Handeln und soziale Sicherungsleistungen<br />

auslösen soll. 21 Dazu müssen Richtungsentscheidungen über künftige Min<strong>im</strong>alziele<br />

sozialer Sicherung getroffen werden. Das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe ist in seinen<br />

Voraussetzungen höchst anspruchsvoll, insbesondere wenn die Sozialpolitik nicht aus ihrer<br />

Verantwortung entlassen wird, soziale Ungleichheiten abzubauen. In diesem Sinne sind<br />

Verwirklichungschancen anhand von Wahlmöglichkeiten und anhand der Ergebnisse von<br />

Teilhabe zu messen.<br />

Bisher fehlt es noch an einer klaren Definition von Teilhabe, was häufig zu diffusen Debatten<br />

bei mittlerweile inflationärem Gebrauch dieses Begriffes geführt hat. Auch dadurch ist die <strong>im</strong><br />

Bundesbericht anvisierte Zusammenführung des <strong>Lebenslagen</strong>ansatzes mit den Konzepten<br />

der Verwirklichungschancen und der Teilhabe noch eher Programm, als ein praktikabler Untersuchungsansatz<br />

22 . Die kontroversen Debatten um Teilhabe, Verwirklichungschancen, Armut,<br />

Ausschließung und Integration werden bereits seit Jahren stark durch die Politik der<br />

Europäischen Union auf diesen Gebieten beeinflusst. Derzeit konkurrieren dort, wie auch in<br />

Deutschland, zwei unterschiedliche Strategien der <strong>Armuts</strong>bekämpfung.<br />

19<br />

In den Europäischen Ländern, so Sen, würde be<strong>im</strong> Umgang mit Arbeitslosigkeit und Armut stark das Prinzip<br />

der „Selbsthilfe“ betont, gleichwohl aber wirksame politische Maßnahmen zum Abbau der massiven Arbeitslosigkeit<br />

unterlassen, die eine derartige Selbsthilfe extrem behindere (vgl. Sen 2000-1, S. 33).<br />

20<br />

Vgl. EU-Kommission 2000-1, S. 6 f.<br />

21<br />

Vgl. Bartelhe<strong>im</strong>er 2007-1, S. 4.<br />

22<br />

Vgl. Bartelhe<strong>im</strong>er 2006-1.<br />

34<br />

<strong>Lebenslagen</strong> <strong>im</strong> <strong>Land</strong> <strong>Bremen</strong> 2009

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