Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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74 l.c., Bd. II, S.358<br />
Man muß gestehen, daß dieser der kapitalistischen Gesellschaft vor bald<br />
hundert Jahren vorgehaltene Spiegel an Deutlichkeit wie an Vollständigkeit<br />
nichts zu wünschen übrigläßt. Sismondi legt den Finger in alle wunden Stellen<br />
der bürgerlichen Ökonomie: Ruin <strong>des</strong> Kleingewerbes, Entvölkerung <strong>des</strong> platten<br />
Lan<strong>des</strong>, Proletarisierung der Mittelschichten, Verelendung der Arbeiter,<br />
Ver drän gung der Arbeiter durch Maschinerie, Arbeitslosigkeit, Gefahren <strong>des</strong><br />
Kre dit systems, soziale Kontraste, Unsicherheit der Existenz, Krisen, Anarchie.<br />
Seine herbe und eindringliche Skepsis fi el namentlich wie ein schriller Mißton<br />
in den satten Optimismus der vulgärökonomischen Harmonieduselei, die sich<br />
bereits in England wie in Frankreich in den Personen dort MacCullochs, hier<br />
J. B. Says breitmachte und die ganze offi zielle Wissenschaft beherrschte. Man<br />
kann sich leicht vorstellen, welchen tiefen und peinlichen Eindruck Äußerungen<br />
machen mußten wie die folgenden:<br />
›Der Luxus ist nur möglich, wenn man ihn mit der Arbeit eines anderen<br />
kauft, angestrengte Arbeit ohne Erholung ist nur möglich, wenn man sich<br />
nicht leichtfertigen Tand, sondern Lebensbedürfnisse verschaff en will.‹ (Bd. I,<br />
S.60)<br />
›Obgleich die Erfi ndung der Maschinen, die die Kräfte <strong>des</strong> Menschen<br />
ver vielfacht, eine Wohltat für die Menschen ist, verwandelt die ungerechte Verteilung<br />
ihrer Wohltaten sie in Geißeln der Armen.‹ (Bd. I, S. XXI)<br />
›Der Profi t <strong>des</strong> Unternehmers ist nichts als ein Raub an dem Arbeiter, er<br />
gewinnt nicht, weil sein Unternehmen viel mehr einbringt, als es kostet, sondern<br />
weil er nicht bezahlt, was es kostet, weil er dem Arbeiter einen genügenden<br />
Entgelt für seine Arbeit nicht gewährt. Eine solche Industrie ist ein gesellschaftliches<br />
Übel, sie stößt diejenigen, welche arbeiten, in das äußerste Elend,<br />
während sie nur den gewöhnlichen Kapitalprofi t dem Leiter zu gewähren vorgibt.‹<br />
(Bd. I, S.71)<br />
›Von denen, die sich in das Nationaleinkommen teilen, erwerben die einen<br />
je<strong>des</strong> Jahr ein neues Recht auf dasselbe durch eine neue Arbeit, die anderen haben<br />
von alters her ein dauern<strong>des</strong> Recht durch eine frühere Arbeit erworben, welche<br />
die jährliche Arbeit lohnender gemacht hat.‹ (Bd. I, S.86)<br />
›Nichts kann verhindern, daß jede neue Erfi ndung in der angewandten<br />
Mechanik nicht die arbeitende Bevölkerung vermindert. <strong>Die</strong>ser Gefahr ist sie<br />
stets ausgesetzt, und die bürgerliche Gesellschaft kennt kein Mittel dagegen.‹<br />
(Bd. II, S.258)<br />
›Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, in der unsere Enkel uns als nicht<br />
minder barbarisch ansehen werden, weil wir die arbeitenden Klassen ohne<br />
Garantie gelassen haben, wie sie und wir selbst die Nationen als barbarisch ansehen,<br />
die diese selben Klassen als Sklaven behandelt haben.‹ (Bd. II, S.337)<br />
Sismondi geht also in seiner Kritik aufs Ganze; er lehnt jede Schönfärberei<br />
und jede Ausfl ucht ab, die etwa die von ihm aufgezeigten Schattenseiten der kapitalistischen<br />
Bereicherung bloß als temporäre Schäden einer Übergangsperiode<br />
zu entschuldigen suchte, und er schließt seine Untersuchung mit der folgenden<br />
Bemerkung gegen Say: ›Seit sieben Jahren habe ich diese Krankheit <strong>des</strong> sozialen<br />
Körpers dargelegt, sieben Jahre hat sie nicht aufgehört zuzunehmen. Ich kann<br />
in einem so fortgesetzten Leiden nicht nur Unbequemlichkeiten sehen, die stets<br />
die Übergänge begleiten, und ich glaube dadurch, daß ich auf den Ursprung <strong>des</strong><br />
Einkommens zurückgegangen bin, gezeigt zu haben, daß die Übel, unter denen<br />
wir leiden, die notwendige Folge der Fehler unserer Organisation sind,<br />
die keineswegs nahe daran sind aufzuhören.‹⁷⁴<br />
104 Geschichtliche Darstellung <strong>des</strong> Problems