Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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Sechzehntes Kapitel<br />
Rodbertus’ Kritik der klassischen Schule<br />
Rodbertus gräbt tiefer als v. Kirchmann. Er sucht die Wurzeln <strong>des</strong> Übels<br />
in den Grundlagen selbst der gesellschaftlichen Organisation und erklärt der<br />
herrschenden Freihandelsschule erbitterten Krieg. Freilich nicht gegen das<br />
System <strong>des</strong> ungehinderten Warenverkehrs oder der Gewerbefreiheit, die er voll<br />
und ganz akzeptiert, zieht er ins Feld, sondern gegen das Manchestertum, a das<br />
laissez faire in den inneren sozialen Verhältnissen der Wirtschaft. Zu<br />
sei ner Zeit war auf die Sturm-und-Drang-Periode der klassischen Ökonomie<br />
be reits jenes skrupellose Apologetentum zur Herrschaft gelangt, das in dem<br />
fabel haften Vulgarus und Abgott aller Philister, dem Herrn Frédéric Bastiat<br />
mit seinen ›Harmonien‹, den gelungensten Ausdruck fand, und bald sollten<br />
auch verschiedene Schulzes als der kümmerlich-spießerliche deutsche Abklatsch<br />
<strong>des</strong> französischen Harmoniepropheten grassieren. Gegen diese skrupellosen<br />
›Freihandelshausierburschen‹ richtete sich die Kritik Rodbertus’. ›Fünf Sechsteile<br />
der Nation‹, ruft er in seinem ›Ersten socialen Brief an von Kirchmann‹ (1850),<br />
›werden bisher durch die Geringfügigkeit ihres Einkommens nicht bloß von den<br />
meisten Wohltaten der Zivilisation ausgeschlossen, sondern unterliegen dann<br />
und wann den furchtbarsten Ausbrüchen wirklichen Elends und sind immerdar<br />
<strong>des</strong>sen drohender Gefahr ausgesetzt. Dennoch sind sie die Schöpfer alles gesellschaftlichen<br />
Reichtums. Ihre Arbeit beginnt mit aufgehender, endigt mit niedergehender<br />
Sonne, erstreckt sich bis in die Nacht hinein, aber keine Anstrengung<br />
vermag dies Los zu ändern. Ohne ihr Einkommen erhöhen zu können, verlieren<br />
sie nur noch die letzte Zeit, die ihnen für Bildung ihres Geistes hätte übrigbleiben<br />
sollen. Wir wollen annehmen, daß der Fortschritt der Zivilisation<br />
soviel Leiden zu seinem Fußgestell bisher bedurfte. Da leuchtet plötzlich die<br />
Möglichkeit einer Änderung dieser traurigen Notwendigkeit aus einer Reihe der<br />
wunderbarsten Erfi ndungen – Erfi ndungen, welche die menschliche Arbeitskraft<br />
mehr als verhundertfachen. Der Nationalreichtum – das Nationalvermögen im<br />
Ver hältnis zur Bevölkerung – wächst infolge<strong>des</strong>sen in steigender Progression.<br />
Ich frage: Kann es eine natürlichere Folgerung, eine gerechtere Forderung geben,<br />
als daß auch die Schöpfer dieses alten und neuen Reichtums von dieser Zunahme<br />
irgendwie Vorteil haben? – als daß sich entweder ihr Einkommen mit<br />
erhöht oder die Zeit ihrer Arbeit ermäßigt oder immer mehrere Mitglieder von<br />
ihnen in die Reihen jener Glücklichen übergehen, die vorzugsweise die Früchte<br />
der Arbeit zu brechen berechtigt sind? Aber die Staatswirtschaft oder besser<br />
die Volkswirtschaft hat nur das Gegenteil von dem allen zustande zu bringen<br />
vermocht. Während der Nationalreichtum wächst, wächst auch die Verarmung<br />
jener Klassen, müssen Spezialgesetze sogar der Verlängerung der Arbeitszeit<br />
in den Weg treten und nimmt endlich die Zahl der arbeitenden Klassen in<br />
größerem Verhältnis zu als die der anderen. Aber nicht genug! <strong>Die</strong> hundertfach<br />
erhöhte Ar beitskraft, die schon fünf Sechsteilen der Nation keine<br />
Erleichterung zu gewähren vermochte, wird periodisch auch noch der Schrecken<br />
<strong>des</strong> letzten Sechsteils der Nation und damit der ganzen Gesellschaft.‹ ›Welche<br />
Widersprüche also auf dem wirtschaftlichen Gebiete insbesondere! Und welche<br />
Widersprüche auf dem gesellschaftlichen Gebiete überhaupt! Der gesellschaftliche<br />
Reichtum nimmt zu, und die Begleiterin dieser Zunahme ist die Zunahme<br />
der Armut. – <strong>Die</strong> Schöpfungskraft der Produktivmittel wird gesteigert, und<br />
Geschichtliche Darstellung <strong>des</strong> Problems 147<br />
a Bezeichnung für eine Linie bürgerlich-liberaler<br />
Wirtschaftspolitik,<br />
die auf Frei handel ausgerichtet<br />
war (freie Kon kur renz) und vor<br />
allem die Nichteinmischung <strong>des</strong><br />
Staates in die Wirtschaft propagierte.<br />
Ihr Name geht auf englische<br />
Industriestadt Manchester zurück.