Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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265 Und nicht nur in England.<br />
›Schon 1859 hatte eine durch ganz<br />
Deutschland verbreitete Flugschrift,<br />
als deren Verfasser man<br />
den Fabrikanten <strong>Die</strong>rgardt aus<br />
Viersen bezeichnete, die eindringliche<br />
Mahnung an Deutschland<br />
gerichtet, sich <strong>des</strong> ostasiatischen<br />
Marktes rechtzeitig zu versichern.<br />
Es gab nur ein Mittel, um den Japanern,<br />
überhaupt den Ostasiaten<br />
gegen über handelspolitisch etwas<br />
zu erreichen, das ist militärische<br />
Machtentfaltung. <strong>Die</strong> aus dem<br />
Sparpfennig <strong>des</strong> Volkes erbaute<br />
deutsche Flotte war ein Jugendtraum<br />
gewesen. Sie war längst<br />
durch Hannibal Fischer versteigert.<br />
Preußen hatte einige<br />
Schiffe, freilich keine imponierende<br />
Marinemacht. Man entschloß<br />
sich aber, ein Geschwader<br />
auszurüsten, um in Ostasien<br />
Handelsvertragsverhandlungen<br />
anzuknüpfen. <strong>Die</strong> Führung der<br />
Mission, welche auch wissenschaftliche<br />
Zwecke verfolgte, erhielt einer<br />
der fähigsten und besonnensten<br />
preußischen Staatsmänner, Graf<br />
zu Eulenburg. Derselbe führte seinen<br />
Auftrag unter den schwierigsten<br />
Verhältnissen mit großem<br />
Geschick durch. Auf den Plan, damals<br />
auch mit den Hawaiischen<br />
Inseln Vertragsbeziehungen anzuknüpfen,<br />
mußte man verzichten. Im<br />
übrigen erreichte die Expedition ihren<br />
Zweck. Trotzdem die Berliner<br />
Presse damals alles besser wußte<br />
und bei jeder Nachricht über eingetretene<br />
Schwierigkeiten erklärte,<br />
das habe man längst vorausgesehen<br />
und alle solche Ausgaben<br />
für Flottendemonstrationen seien<br />
eine Verschwendung der Mittel der<br />
Steuerzahler, läßt sich das Ministerium<br />
der neuen Ära nicht irremachen.<br />
Den Nachfolgern wurde<br />
die Genugtuung <strong>des</strong> Erfolges zuteil.‹<br />
(W. Lotz: <strong>Die</strong> Ideen der deutschen<br />
Handelspolitik, S.80)<br />
266 ›Une négociation officielle<br />
fut ouverte (zwischen der fran zösischen<br />
und der englischen Regierung,<br />
nachdem Michel Che valier<br />
mit Rich. Cobden die vorbereitenden<br />
Schritte getan hatte) au bout<br />
de peu de jours: elle fut conduite<br />
avec le plus grand mystère.<br />
→|cont. nächste Seite|<br />
a →|siehe S.301|<br />
267 →|siehe S.301|<br />
268 →|siehe S.301|<br />
<strong>des</strong>sen Interesse Cobden und Bright den Freihandel, namentlich die Verbilligung<br />
der Nahrungsmittel, forderten, war nicht der Arbeiter, der das Brot verzehrt,<br />
sondern der Kapitalist, der die Arbeitskraft verzehrt.<br />
<strong>Die</strong>ses Evangelium war nie der wirkliche Ausdruck der Interessen der<br />
Kapitalakkumulation im ganzen. In England selbst wurde es schon in den<br />
40er Jah ren durch die Opiumkriege Lügen gestraft, die mit Kanonendonner die<br />
Interessenharmonie der Handelsnationen in Ostasien proklamierten, um mit der<br />
Annexion von Hongkong in das Gegenteil, in das System der ›Interessensphären‹<br />
umzuschlagen. ²⁶⁵ Auf dem europäischen Kontinent war der Freihandel der<br />
60er Jahre schon aus dem Grunde kein Ausdruck der Interessen <strong>des</strong> industriellen<br />
<strong>Kapitals</strong>, weil die führenden Freihandels länder <strong>des</strong> Kontinents in<br />
jener Zeit noch vorwiegend agrarische Länder, ihre Großindustrie noch verhältnismäßig<br />
schwach entwickelt war. Das Freihandelssystem wurde vielmehr<br />
als Maßnahme der politischen Kon stituierung der mitteleuropäischen Staaten<br />
durchgesetzt. In Deutschland war es in der Manteuff elschen und Bismarckschen<br />
Politik ein spezifi sch preußisches Mittel, Österreich aus dem Bund und<br />
dem Zollverein hinauszudrängen und das neue Deutsche Reich unter Preußens<br />
Führung zu konstituieren. Ökonomisch stützte sich der Freihandel hier nur auf<br />
die Interessen <strong>des</strong> Kaufmannskapitals namentlich <strong>des</strong> am Welthandel interessierten<br />
<strong>Kapitals</strong> der Hansastädte, und auf agrarische Konsumenteninteressen;<br />
von der eigentlichen Industrie ließ sich die Eisenproduktion nur mit Mühe um<br />
die Konzession der Abschaff ung der Rheinzölle für den Freihandel gewinnen,<br />
die süddeutsche Baumwollindustrie aber blieb unversöhnlich in der schutzzöllnerischen<br />
Opposition. In Frankreich waren die Meistbegünstigungs verträge,<br />
die die Grundlage für das Freihandelssystem in ganz Europa gelegt haben,<br />
von Napoleon III. ohne und gegen die kompakte schutzöllnerische Mehrheit<br />
<strong>des</strong> Parlaments aus Industriellen und Agrariern abgeschlossen. Der Weg der<br />
Handelsverträge selbst wurde von der Regierung <strong>des</strong> Zweiten Kaiserreichs<br />
nur als ein Notbehelf eingeschlagen und von England als solcher akzeptiert,<br />
um die parlamentarische Opposition Frankreichs zu umgehen und hinter<br />
dem Rücken der gesetzgebenden Körperschaft auf internationalem Wege den<br />
Freihandel durchzusetzen. Mit dem ersten grundlegenden Vertrag zwischen<br />
Frankreich und England wurde die öff entliche Meinung in Frankreich einfach<br />
überrumpelt. ²⁶⁶ Das alte Schutzzollsystem Frankreichs wurde von 1853 bis 1862<br />
durch 32 kaiserliche Dekrete abgetragen, die dann 1863 in lässiger Beobachtung<br />
der Form insgesamt ›auf gesetzgeberischem Wege‹ bestätigt wurden.<br />
In Ita lien war der Freihandel ein Requisit der Cavourschen Politik a und ihres<br />
Anleh nungsbedürfnisses an Frankreich. Schon 1870 wurde unter dem Drängen<br />
der öff entlichen Meinung eine Enquete eröff net, die den Mangel an Rückhalt für<br />
die freihändlerische Politik in den Interessentenkreisen bloßgelegt hat. Endlich<br />
in Rußland war die freihändlerische Tendenz der 60er Jahre nur erst eine<br />
Einleitung zur Schaff ung einer breiten Grundlage für die Warenwirtschaft und<br />
die Großindustrie: begleitete sie doch erst die Aufhebung der Leibeigenschaft<br />
und die Herstellung eines Eisenbahnnetzes. ²⁶⁷<br />
So konnte der Freihandel als internationales System von vornherein<br />
nicht mehr als eine Episode in der Geschichte der Kapitalakkumulation bleiben.<br />
Schon aus diesem Grunde ist es verkehrt, die allgemeine Umkehr zum<br />
Schutzzoll seit Ende der 70er Jahre lediglich als eine Abwehrmaßregel gegen<br />
den englischen Freihandel erklären zu wollen. ²⁶⁸<br />
300 <strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong>