Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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Reproduktion. Es fragt sich vielmehr: Für wen produzieren die Kapitalisten,<br />
wenn und soweit sie nicht selbst konsumieren, sondern ›entsagen‹, d. h. akkumulieren?<br />
Noch weniger kann die Erhaltung einer immer größeren Armee von<br />
Arbeitern der Zweck der ununterbrochenen Kapitalakkumulation sein. <strong>Die</strong><br />
Konsumtion der Arbeiter ist kapitalistisch eine Folge der <strong>Akkumulation</strong>, niemals<br />
ihr Zweck und ihre Voraussetzung, wenn anders die Grundlagen der kapitalistischen<br />
Produktion nicht auf den Kopf gestellt werden sollen. Und jedenfalls<br />
können die Arbeiter stets nur den Teil <strong>des</strong> Produkts konsumieren, der<br />
dem variablen Kapital entspricht, kein Jota darüber hinaus. Wer realisiert also<br />
den beständig wachsenden Mehrwert. Das Schema antwortet: die Kapitalisten<br />
selbst und nur sie. Und was fangen sie mit ihrem wachsenden Mehrwert an? Das<br />
Schema antwortet: Sie gebrauchen ihn, um ihre Produktion immer mehr zu erweitern.<br />
<strong>Die</strong>se Kapitalisten sind also Fanatiker der Produktionserweiterung um<br />
der Produktionserweiterung willen. Sie lassen immer neue Maschinen bauen,<br />
um damit immer wieder neue Maschinen zu bauen. Was wir aber auf<br />
diese Weise bekommen, ist nicht eine Kapitalakkumulation, sondern eine wachsende<br />
Produktion von Produktionsmitteln ohne jeden Zweck, und es gehört<br />
die Tugan-Baranowskische Kühnheit und Freude an Paradoxen dazu, um anzunehmen,<br />
dieses unermüdliche Karussell im leeren Luftraum könne ein treues<br />
theoretisches Spiegelbild der kapitalistischen Wirklichkeit und eine wirkliche<br />
Konsequenz der Marxschen Lehre sein.¹⁹²<br />
Außer dem gleich im Anfang abgebrochenen Entwurf der Analyse der erweiterten<br />
Reproduktion, den wir im zweiten Bande <strong>des</strong> ›<strong>Kapitals</strong>‹ vorfi nden, hat<br />
Marx seine allgemeine Auff assung von dem charakteristischen Gang der kapitali<br />
stischen <strong>Akkumulation</strong> in seinem ganzen Werke, namentlich im dritten Bande,<br />
sehr ausführlich und deutlich niedergelegt. Und man braucht sich nur in diese<br />
Auff assung hineinzudenken, um das Unzulängliche <strong>des</strong> Schemas am Schluß <strong>des</strong><br />
zweiten Ban<strong>des</strong> ohne Mühe einzusehen.<br />
Prüft man das Schema der erweiterten Reproduktion gerade vom Standpunkte<br />
der Marxschen Th eorie, so muß man fi nden, daß es sich mit ihr in mehreren<br />
Hinsichten im Widerspruch befi ndet.<br />
Vor allem berücksichtigt das Schema die fortschreitende Produktivität der<br />
Arbeit gar nicht. Es setzt nämlich von Jahr zu Jahr trotz der <strong>Akkumulation</strong> dieselbe<br />
Zusammensetzung <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong>, d. h. dieselbe technische Grundlage <strong>des</strong><br />
Produktionsprozesses voraus. <strong>Die</strong>ses Verfahren ist an sich, behufs Vereinfachung<br />
der Analyse, vollkommen zulässig. Das Absehen von den Verschiebungen der<br />
Technik, die dem Prozeß der Kapitalakkumulation parallel laufen und von ihm<br />
unzertrennlich sind, muß jedoch wenigstens hinterher in Betracht gezogen, angerechnet<br />
werden, wo man die konkreten Bedingungen der Realisierung <strong>des</strong> gesellschaftlichen<br />
Gesamtprodukts und der Reproduktion untersucht. Zieht man<br />
aber die Fortschritte der Produktivität der Arbeit in Betracht, dann folgt daraus,<br />
daß die sachliche Masse <strong>des</strong> gesellschaftlichen Produkts – Produktionsmittel<br />
wie Konsumtionsmittel – noch viel rascher wächst als seine Wertmasse, wie<br />
das Schema anzeigt. <strong>Die</strong> andere Seite dieses Anwachsens der Masse der Gebrauchswerte<br />
ist aber auch eine Verschiebung der Wertverhältnisse. Nach der<br />
zwingenden Beweisführung Marxens, die einen der Ecksteine der Th eorie bildet,<br />
äußert sich die fortschreitende Entwicklung der Produktivität der Arbeit darin,<br />
daß bei zunehmender Kapital akkumulation die Zusammensetzung <strong>des</strong><br />
<strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong> 215<br />
Ein Grund zur <strong>Akkumulation</strong> fällt<br />
bei dieser en-bloc-Betrachtung<br />
etwas aus dem Gesichtskreis: die<br />
Konkurrenz. Aus dem Blickwinkel<br />
<strong>des</strong> Einzelkapitals ist eine Steigerung<br />
der Arbeitsproduktivität<br />
wegen billigerer Produkte, ›wohlfeilerer‹<br />
Waren, ›unvermeidbar‹,<br />
zwingend, was sich in einer<br />
zyk lisch höheren organischen<br />
Zusammensetzung<br />
[c1 : v2 < c2 : v2 < … < cn : vn] <strong>des</strong><br />
<strong>Kapitals</strong> ausdrückt. In aller Regel<br />
entspricht dies einem größeren,<br />
›akkumulierten‹ Kapital. So wie<br />
die einfache Reproduktion ›nur‹<br />
Theorem, so die erweiterte, solange<br />
die organische Zusammensetzung<br />
als gleichbleibend unterstellt wird<br />
[c1 : v2 = c2 : v2 = … = cn : vn]. <strong>Die</strong><br />
Untersuchung der Möglichkeit eines<br />
Prozesses und seiner Wirklichkeit ist<br />
nicht dasselbe wie die der Antriebe<br />
seiner einzelnen Betreiber.<br />
Deshalb: ›Wir haben hier<br />
bloß die Formen zu betrachten, die<br />
das Kapi tal in seinen verschiednen<br />
Fortent wicklungen durchmacht. Es<br />
sind also die reellen Ver hältnisse<br />
nicht entwickelt … ‹ [Anm.191,<br />
S.213]. Somit ist die Frage: ›Für<br />
wen produzieren die Kapitalisten …‹<br />
an dieser Stelle ausgeschlossen,<br />
ebenso wie die einfache Antwort<br />
darauf.<br />
192 ›Es sind nie die originellen<br />
Denker, welche die absurden<br />
Konsequenzen ziehn. Sie überlassen<br />
das den Says und MacCullochs.‹<br />
Das Kapital, Bd. II, S.365 [Karl<br />
Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In:<br />
Karl Marx/Friedrich Engels: Werke,<br />
Bd.24, S.389]. Und den – Tugan-<br />
Baranowskis, fügen wir hinzu.