Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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A James Bryce: Impressions<br />
of South Africa, 1897, deutsche<br />
Ausgabe 1900, S.206<br />
ergeben sich in den Kolonialländern die seltsamsten Mischformen zwischen modernem<br />
Lohnsystem und primitiven Herrschaftsverhältnissen.²⁰⁶<br />
Anmerkung 206<br />
Ein Musterbeispiel solcher Mischformen schildert der frühere englische Minister Bryce in den<br />
süd-afrikanischen Diamantgruben. ›<strong>Die</strong> interessanteste Sehenswürdigkeit Kimberleys, die einzig<br />
in der Welt dasteht, sind die beiden sogen. Compounds, wo die in den Bergwerken beschäftigten<br />
Eingeborenen beherbergt und eingesperrt werden. Es sind ungeheure Einfriedungen<br />
ohne Dach, aber mit einem Drahtnetz überspannt, um zu verhindern, daß etwas über die<br />
Mauern geworfen wird. Ein unterirdischer Gang führt zu dem benachbarten Bergwerk. Es<br />
wird in drei achtstündigen Schichten gearbeitet, so daß der Arbeiter nie länger als 8 Stunden<br />
hintereinander unter der Erde ist. An der Innenseite der Mauer sind Hütten errichtet, wo die<br />
Eingeborenen wohnen und schlafen. Auch ein Hospital ist innerhalb der Umfriedung vorhanden<br />
sowie eine Schule, wo die Arbeiter in ihrer freien Zelt lesen und schreiben lernen können.<br />
Geistige Getränke werden nicht verkauft. – Alle Eingänge werden streng bewacht, und<br />
keine Besucher, weder Eingeborene noch Weiße, erhalten Zutritt; die Lebensmittel werden von<br />
einem innerhalb der Mauern befindlichen, der Gesellschaft gehörigen Laden geliefert. Das<br />
Compound der De Beers-Grube beherbergte zur Zeit meines Besuches 2 600 Eingeborene aller<br />
möglichen Stämme, so daß man dort Exemplare der verschiedensten Negertypen von Natal<br />
und Pondoland im Süden bis zum Tanganjikasee im fernen Osten sehen konnte. Sie kommen<br />
von allen Himmelsrichtungen, durch die hohen Löhne, gewöhnlich 18—30 M[ark] die Woche,<br />
herbeigelockt, und bleiben dort 3 Monate und länger, zuweilen sogar für lange Zeit … In diesem<br />
weiten, rechteckigen Compound sieht man Zulus aus Natal, Fingos, Pondos, Tembus,<br />
Basutos, Betschuanas, Untertanen Gungunhanas aus den portugiesischen Besitzungen,<br />
einige Matabeles und Makalakas und viele sog. Zambesi-Boys von den an beiden Ufern dieses<br />
Flusses wohnenden Stämmen. Sogar Buschmänner oder wenigstens Eingeborene, die von<br />
Buschmännern stammen, fehlen nicht. Sie wohnen friedlich zusammen und vergnügen sich<br />
in ihren freien Stunden auf ihre Art. Außer Glücksspielen sahen wir noch ein Spiel, das, dem<br />
englischen »Fuchs und Gänse« ähnlich, mit Steinen auf einem Brett gespielt wird; auch Musik<br />
wurde auf zwei primitiven Instrumenten gemacht; auf dem sog. Kaffernklavier, das aus ungleich<br />
langen, nebeneinander in einem Rahmen befestigten Eisenplättchen besteht, und auf<br />
einem noch kunstloseren Instrument, aus ungleich langen, harten Holzstückchen gefertigt, denen<br />
man durch Anschlagen verschiedene Töne, die Rudimente einer Melodie entlocken kann.<br />
Einige wenige lasen oder schrieben Briefe, die übrigen waren mit Kochen oder Schwatzen beschäftigt.<br />
Manche Stämme schwatzen ununterbrochen, und man kann in dieser seltsamen<br />
Negerretorte ein Dutzend Sprachen hören, wenn man von Gruppe zu Gruppe geht.‹ <strong>Die</strong> Neger<br />
pflegen nach mehreren Monaten Arbeit mit ihrem aufgesparten Lohn das Bergwerk zu verlassen,<br />
um zu ihrem Stamme zurückzukehren, sich für das Geld eine Frau zu kaufen und wieder<br />
in ihren hergebrachten Verhältnissen zu leben. A<br />
Ebenda siehe auch die recht lebendige Schil derung der Methoden wie man in Südafrika<br />
die ›Arbeiterfrage‹ löst. Wir erfahren da, daß man die Neger zur Arbeit in den Bergwerken<br />
und Plantagen in Kimberley, in Witwatersrand, in Natal, im Matabeleland zwingt, dadurch,<br />
daß man ihnen alles Land und alles Vieh, d. h. die Existenzmittel nimmt, sie proletarisiert, sie<br />
auch mit Branntwein demoralisiert (später, als sie schon in der ›Einfriedung‹ <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong> sind,<br />
werden ihnen, die an Alkohol erst gewöhnt worden, ›geistige Getränke‹ streng verboten: Das<br />
Ausbeutungsobjekt muß in brauchbarem Zustand erhalten werden), schließlich einfach mit<br />
Gewalt, Gefängnis, Auspeitschung in das ›Lohn system‹ <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong> preßt.<br />
<strong>Die</strong>se illustrieren handgreifl ich die Tat sache, daß die kapitalistische<br />
Produktion ohne Arbeitskräfte aus anderen sozialen Formationen nicht<br />
auszukommen vermag.<br />
Marx behandelt freilich eingehend sowohl den Prozeß der Aneignung<br />
nichtkapitalistischer Produktionsmittel wie den Prozeß der Verwandlung <strong>des</strong><br />
Bauerntums in kapitalistisches Proletariat. Das ganze 24. Kapitel im ersten Band<br />
<strong>des</strong> ›<strong>Kapitals</strong>‹ ist der Schilderung der Entstehung <strong>des</strong> englischen Proletariats,<br />
der agrikolen kapitalistischen Pächterklasse sowie <strong>des</strong> industriellen <strong>Kapitals</strong> gewidmet.<br />
Eine hervorragende Rolle im letzteren Vorgang spielt in der Marxschen<br />
Schilderung die Ausplünderung der Kolonialländer durch das europäische<br />
Kapital. <strong>Die</strong>s alles aber wohlgemerkt nur unter dem Gesichtswinkel der sogenannten<br />
›primitiven <strong>Akkumulation</strong>‹. <strong>Die</strong> angegebenen Prozesse illustrieren<br />
bei Marx nur die Genesis, die Geburtsstunde <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong>, sie bezeichnen die<br />
236 <strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong>