Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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a <strong>Die</strong> spontanen Fabriktumulte<br />
in den achtziger Jahren im Moskauer<br />
Bezirk richteten sich vor allem<br />
gegen die Verschärfung <strong>des</strong> Strafgeldsystems.<br />
Sie gipfelten 1885 im<br />
Moralow-Streik in Orechowo-Sujeo,<br />
an dem 11 000 Strei kende teilnahmen,<br />
der erste Streik mit organisiertem<br />
Charakter. Infolge der Ausstände<br />
wurde mit dem Gesetz vom<br />
3. Juni1886 das Strafensystem neu<br />
geregelt.<br />
b Der ›volkstümlerische‹ russische<br />
Sozialismus war eine nach 1861 entstandenekleinbürgerlich-revolutionäre<br />
Strömung. Nach Auf fassung<br />
der Volkstümler waren die in Rußland<br />
vor han denen kapitali stischen<br />
Ele mente zufällig, die bäuerliche<br />
Dorfgemeinschaft die Keim zelle <strong>des</strong><br />
Sozialismus und die Bau ern die revolutionäre<br />
Hauptkraft.<br />
c <strong>Die</strong> Narodnaja Wolja‹ (Volkswille)<br />
war 1879 aus der Volkstümlerbewegung<br />
hervorgegangen. Ihr Ziel,<br />
Sturz der Selbstherrschaft, verfolgte<br />
sie durch die Taktik der Ver schwörung<br />
und <strong>des</strong> individuellen Terrors.<br />
Ohne feste Stütze in den Massen<br />
wurde sie in den achtziger Jahren<br />
vom ›Zarismus‹ zerschlagen.<br />
d <strong>Die</strong> Obschtschina, die bäuerliche<br />
Dorfgemeinde, war mit der<br />
Herausbildung feudaler Produktions<br />
verhältnisse entstanden. Sie<br />
war durch gemeinsamen Bodenbesitz<br />
und periodische Umteilung<br />
<strong>des</strong> Anteillan<strong>des</strong> gekennzeichnet.<br />
Mit der Bauernreform von 1861 in<br />
Rußland wurden diese feudalen<br />
Dorf gemeinschaften aus Wirtschafts<br />
gemeinden zu politischen<br />
Verwaltungsgemeinden.<br />
e Durch die ›Allgemeine Verordnung<br />
über die Bauern, die aus der<br />
Leib eigen schaft entlassen werden‹<br />
und weitere Verordnungen wurde<br />
am 19. Februar 1861 die Leibeigenschaft<br />
in Rußland aufgehoben und<br />
folgen<strong>des</strong> geregelt: die persönliche<br />
Befreiung der Bauern, ihre Bodenanteile<br />
und Verpflichtungen, der<br />
Los kauf von Grund und Boden sowie<br />
die Organisation der bäuerlichen<br />
Verwaltung. In ihrer Mehr heit<br />
blieben die Bauern durch ›Ablösungszahlungen‹<br />
und ›Abarbeit‹<br />
in halbfeudaler Abhängigkeit von<br />
den Gutsbesitzern. Dennoch wurde<br />
der kapitalistischen Entwicklung in<br />
Rußland der Weg geebnet.<br />
Geldwirtschaft grauenvolle Zustände, periodische Hungersnöte und periodische<br />
Bauernunruhen. Andererseits war das Fabrikproletariat in den Städten sozial<br />
und geistig noch nicht zu einer modernen Arbeiterklasse konsolidiert. Namentlich<br />
in dem größten industriellen Zentralbezirk Moskau-Wladimir, dem<br />
wich tigsten Sitz der russischen Textilindustrie, war es noch zum großen Teil mit<br />
der Landwirtschaft verwachsen und halb bäuerisch. Dementsprechend primitive<br />
Formen der Ausbeutung riefen primitive Äußerungen der Abwehr auf den Plan.<br />
Anfangs der 80er Jahre sollten erst die spontanen Fabriktumulte im Moskauer<br />
Bezirk, bei denen Maschinen zertrümmert wurden, a den Anstoß zu den ersten<br />
Grundlagen einer Fabrikgesetzgebung im Zarenreiche geben.<br />
Wies so die wirtschaftliche Seite <strong>des</strong> öff entlichen Lebens in Rußland auf<br />
jedem Schritt schreiende Dissonanzen einer Übergangsperiode auf, so entsprach<br />
ihr auch eine Krise im geistigen Leben Der ›volkstümlerische‹, bodenständige<br />
russische Sozialismus, b der theoretisch auf den Eigentüm lichkeiten der<br />
russischen Agrarverfassung basierte, war nach dem Fiasko seines äußersten revolutionären<br />
Ausdrucks: der terroristischen Partei der ›Narodnaja Wolja‹, c politisch<br />
bankrott. Andererseits waren die ersten Schriften Georg Plechanows, die<br />
den marxistischen Gedankengängen in Rußland Eingang verschaff en sollten, erst<br />
1883 und 1885 erschienen und etwa für ein Jahrzehnt noch von scheinbar geringem<br />
Einfl uß geblieben. Während der 80er Jahre und bis in die 90er Jahre<br />
hinein war das geistige Leben der russischen Intelligenz, namentlich der oppositionell<br />
gesinnten, sozialistischen Intelligenz, von einem seltsamen Gemisch<br />
›bodenständiger‹ Überbleibsel der Volkstümelei mit aufgegriff enen Elementen<br />
der Marxschen Th eorie beherrscht, ein Gemisch, <strong>des</strong>sen hervorstechenden Zug<br />
die Skepsis in bezug auf die Entwicklungsmöglichkeiten <strong>des</strong> Kapitalismus in<br />
Rußland bildete.<br />
<strong>Die</strong> Frage, ob Rußland die kapitalistische Entwicklung nach dem Beispiel<br />
<strong>des</strong> westlichen Europa durchmachen soll, beschäftigte sehr früh die russische<br />
Intelligenz. <strong>Die</strong>se sah auch in Westeuropa vorerst nur die Schattenseiten <strong>des</strong><br />
Kapitalismus, seine zersetzende Wirkung auf die hergebrachten patriarchalischen<br />
Produktionsformen und auf den Wohlstand und die Sicherheit der<br />
Existenz breiter Volksmassen. Andererseits erschien das russische bäuerliche<br />
Gemeineigentum an Grund und Boden, die berühmte ›Obschtschina‹, d als ein<br />
möglicher Ausgangspunkt für eine höhere soziale Entwicklung in Rußland, das<br />
unter Umgehung <strong>des</strong> kapitalistischen Stadiums mit seinen Leiden auf einem<br />
kürzeren und weniger qualvollen Wege als die westeuropäischen Länder in das<br />
gelobte Land <strong>des</strong> Sozialismus gelangen würde. Sollte man nun diese glückliche<br />
Ausnahmelage, diese einzigartige geschichtliche Gelegenheit verscherzen,<br />
indem man durch eine forcierte Verpfl anzung der kapitalistischen Produktion<br />
nach Rußland unter staatlicher Beihilfe die bäuerlichen Besitz- und<br />
Produktionsformen vernichtete, der Proletarisierung, dem Elend und der Unsicherheit<br />
der Existenz der arbeitenden Massen Tür und Tor öff nete?<br />
<strong>Die</strong>ses Grundproblem beherrschte das geistige Leben der russischen<br />
Intelligenz seit der Bauernreform, e ja schon früher, seit Herzen und nament-<br />
lich seit Tschernyschewski, es bildete die Zentralachse, um die sich<br />
eine ganze eigenartige Weltanschauung, die ›volkstümlerische‹, geformt hatte.<br />
<strong>Die</strong>se Geistesrichtung, die in verschiedenen Abarten und Tendenzen spielte –<br />
von den deutlich reaktionären Lehren <strong>des</strong> Slavophilismus bis zur revolutionären<br />
Th eorie der terroristischen Partei –, hat in Rußland eine enorme Literatur<br />
170 Geschichtliche Darstellung <strong>des</strong> Problems