Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub
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über die Ursachen der Notlage vom englischen Parlament erzwungen hat.<br />
Gegenwärtig sucht die englische Regierung die Bauern auf administrativem<br />
Wege vor dem Wucher zu retten. <strong>Die</strong> Punjab Alienation Act (1900) verbietet die<br />
Veräußerung oder Belastung <strong>des</strong> Bauernlan<strong>des</strong> zugunsten von Angehörigen anderer<br />
Kasten als die landbautreibende und macht Ausnahmen im Einzelfalle von<br />
der Genehmigung <strong>des</strong> Steuereinnehmers abhängig.²¹⁴ Nachdem sie die schützenden<br />
Bande der uralten sozialen Verbände der Hindus planmäßig zerrissen<br />
und einen Wucher großgezogen haben, bei dem ein Zinsfuß von 15 Prozent eine<br />
gewöhnliche Erscheinung ist, stellen die Engländer den ruinierten und verelendeten<br />
indischen Bauer unter die Vormundschaft <strong>des</strong> Fiskus und seiner Beamten,<br />
d. h. unter den ›Schutz‹ seiner unmittelbaren Blutsauger.<br />
Neben dem Martyrium Britisch-Indiens beansprucht in der kapitalistischen<br />
Kolonialwirtschaft die Geschichte der französischen Politik in<br />
Algerien einen Ehrenplatz. Als die Franzosen Algerien eroberten, a herrschten<br />
un ter der Masse der arabisch-kabylischen Bevölkerung die uralten sozialen<br />
und wirtschaftlichen Einrichtungen, die sich trotz der langen und bewegten<br />
Geschichte <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> bis ins 19. Jahrhundert, ja zum Teil bis heute erhalten<br />
haben.<br />
Mochte in den Städten, unter den Mauren und Juden, unter Kaufl euten,<br />
Handwerkern und Wucherern Privateigentum herrschen und auf dem fl achen<br />
Lande bereits große Strecken von der türkischen Vasallenherrschaft her als staatliche<br />
Domänen usurpiert sein, immerhin gehörte noch fast die Hälfte <strong>des</strong> benutzten<br />
Lan<strong>des</strong> in ungeteiltem Eigentum den arabisch-kabylischen Stämmen, und<br />
hier herrschten noch uralte, patriarchalische Sitten. Dasselbe Nomadenleben,<br />
nur dem oberfl ächlichen Blick unstet und regellos, in Wirklichkeit streng geregelt<br />
und höchst eintönig, führte wie seit jeher noch im 19. Jahrhundert viele arabische<br />
Geschlechter mit Männern, Weibern und Kindern, mit Herden und Zelten<br />
jeden Sommer an den von Meereswinden angefächelten kühleren Küstenteil Tell<br />
und jeden Winter wieder in die schützende Wärme der Wüste zurück. Jeder<br />
Stamm und je<strong>des</strong> Geschlecht hatte seine bestimmten Wanderungsstrecken<br />
und bestimmte Sommer- und Winterstationen, wo sie ihre Zelte aufschlugen.<br />
<strong>Die</strong> ackerbautreibenden Araber besaßen das Land gleichfalls vielfach noch im<br />
Gemeineigentum der Geschlechter. Und ebenso patriarchalisch nach althergebrachten<br />
Regeln lebte die kabylische Großfamilie unter der Leitung ihrer gewählten<br />
Oberhäupter.<br />
<strong>Die</strong> Hauswirtschaft dieses großen Familienkreises war ungeteilt von<br />
dem ältesten weiblichen Mitglied geleitet, jedoch gleichfalls auf Grund der<br />
Wahl der Familie, oder aber von den Frauen der Reihe nach. <strong>Die</strong> kabylische<br />
Großfamilie, die in dieser Organisation am Saum der afrikanischen Wüste ein<br />
eigentümliches Seitenstück zu der berühmten südslawischen ›Zadruga‹ b darbot,<br />
war Eigentümerin nicht bloß <strong>des</strong> Grund und Bodens, sondern auch aller<br />
Werkzeuge, Waff en und Gelder, die zum Betrieb <strong>des</strong> Berufs aller Mitglieder erforderlich<br />
waren und von ihnen er worben wurden. Als Privateigentum<br />
gehörte jedem Mann nur ein Anzug und jeder Frau nur die Kleidungsstücke und<br />
die Schmucksachen, die sie als Brautgeschenk erhalten hatte. Alle kostbareren<br />
Gewänder aber und Juwelen galten als ungeteiltes Familieneigentum und durften<br />
von einzelnen nur mit Einwilligung aller gebraucht werden. War die Familie<br />
nicht zu zahlreich, so nahm sie ihre Mahlzeiten an einem gemeinsamen Tische<br />
ein, wobei alle Frauen nach der Reihe kochten, die ältesten aber die Verteilung<br />
<strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong> 245<br />
214 Siehe Victor v. Leyden:<br />
Agrarverfassung und Grundsteuer<br />
in Britisch-Ostindien In: Jahrbuch<br />
für Gesetzgebung, Verwaltung und<br />
Volkswirtschaft, XXXVI. Jg., Heft 4,<br />
S.1855<br />
[Nach gegenwärtig, 2009,<br />
herrschender Auffassung schreit<br />
dies förmlich nach Deregulierung,<br />
›freiem‹ Kapitalmarkt, und ein<br />
Zinssatz von 15% p. a. ist kein<br />
Wucher, <strong>babbelClub</strong>]<br />
a <strong>Die</strong> koloniale Eroberung<br />
Algeriens. die am 5. Juli 1830 mit<br />
der Einnahme Algiers durch franzö<br />
sische Truppen begann, stieß auf<br />
organisierten Widerstand <strong>des</strong> algerischen<br />
Volkes und konnte erst<br />
um die Jahrhundertwende abgeschlossen<br />
werden, obwohl bereits<br />
am 22. Juli 1834 Algerien zu französischem<br />
Besitz erklärt und ein<br />
Generalgouverneur eingesetzt worden<br />
war.<br />
b <strong>Die</strong> Zadruga war eine Familiengenossenschaft<br />
aus mehreren<br />
Generationen mit gemeinsamem<br />
Besitz an Grund und Boden,<br />
Vermögen und Inventar bei den<br />
Süd slawen bis Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhun<br />
derts, der der Hausvater mit<br />
unbe schränkter Gewalt vorstand.