02.01.2013 Aufrufe

Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub

Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub

Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Neunundzwanzigstes Kapitel<br />

Der Kampf gegen die Bauernwirtschaft<br />

Ein wichtiges Abschlußkapitel <strong>des</strong> Kampfes mit der Natural wirtschaft<br />

ist die Trennung der Landwirtschaft vom Gewerbe, die Verdrängung der<br />

ländlichen Gewerbe aus der Bauernwirtschaft. Das Handwerk kommt geschichtlich<br />

als eine landwirtschaftliche Nebenbeschäftigung zur Welt, bei den ansässigen<br />

Kulturvölkern als Anhängsel <strong>des</strong> Ackerbaus. <strong>Die</strong> Geschichte <strong>des</strong> europäischen<br />

Handwerks im Mittelalter ist die Geschichte seiner Emanzipation von<br />

der Landwirtschaft, seiner Loslösung vom Fronhof, seiner Spezialisierung und<br />

Entwicklung zur zunftmäßigen städtischen Warenproduktion. Trotzdem<br />

die gewerbliche Produktion weiter vom Handwerk über Manufaktur zur großindustriellen<br />

kapitalistischen Fabrik vorgeschritten war, blieb auf dem Lande in<br />

der bäuerlichen Wirtschaft das Handwerk noch zäh an der Landwirtschaft haften.<br />

Als häusliche Nebenproduktion in der vom Ackerbau freien Zeit spielte das<br />

Handwerk zum Selbstbedarf in der bäuerlichen Wirtschaft eine hervorragende<br />

Rolle.²²⁷ <strong>Die</strong> Entwicklung der kapitalistischen Produktion entreißt der bäuerlichen<br />

Wirtschaft immer einen Zweig <strong>des</strong> Gewerbes nach dem anderen, um<br />

sie zur fabrikmäßigen Massenproduktion zu konzentrieren. <strong>Die</strong> Geschichte der<br />

Textilindustrie ist dafür ein typisches Beispiel. Dasselbe vollzieht sich aber, weniger<br />

auff ällig, mit allen anderen Handwerkszweigen der Landwirtschaft. Um die<br />

Bauernmasse zur Abnehmerin seiner Waren zu machen, ist das Kapital bestrebt,<br />

die bäuerliche Wirtschaft zunächst auf den einen Zweig zu reduzieren, <strong>des</strong>sen es<br />

sich nicht sofort – und in europäischen Eigentumsverhältnissen überhaupt nicht<br />

ohne Schwierigkeit – bemächtigen kann: auf die Landwirtschaft.²²⁸ Hier scheint<br />

äußerlich alles ganz friedlich abzugehen. Der Prozeß ist unmerklich und gleichsam<br />

von rein ökonomischen Faktoren bewirkt. <strong>Die</strong> technische Überlegenheit<br />

der fabrikmäßigen Massenproduktion mit ihrer Spezialisierung, mit ihrer wissenschaftlichen<br />

Analyse und Kombination <strong>des</strong> Produktionsprozesses, mit ihren<br />

Bezugsquellen der Rohstoff e vom Weltmarkt und ihren vervollkommneten<br />

Werkzeugen steht im Vergleich mit dem primitiven bäuerlichen Gewerbe außer<br />

jedem Zweifel. In Wirklichkeit sind bei diesem Prozeß der Trennung der bäuerlichen<br />

Landwirtschaft vom Gewerbe Faktoren wie Steuerdruck, Krieg, Verschleu<br />

derung und Monopolisierung <strong>des</strong> nationalen Grund und Bodens wirksam,<br />

die gleichermaßen in das Gebiet der Nationalökonomie, der politischen Gewalt<br />

und <strong>des</strong> Strafkodex fallen. Nirgends ist dieser Prozeß so gründlich durch ge führt<br />

wie in den Vereinigten Staaten von Amerika.<br />

Eisenbahnen, d. h. europäisches, hauptsächlich englisches Kapital,<br />

führten den amerikanischen Farmer Schritt für Schritt über die unermeßlichen<br />

Gefi lde <strong>des</strong> Ostens und Westens der Union, wo er die Indianer mit Feuerwaff en,<br />

Bluthunden, Schnaps und Syphilis vertilgte und gewaltsam vom Osten nach<br />

dem Westen verpfl anzte, um sich ihren Grund und Boden als ›freies Land‹ anzueignen,<br />

zu roden und unter Kultur zu setzen. Der amerikanische Farmer, der<br />

›Hin ter wäldler‹ der guten alten Zeit vor dem Sezessionskrieg, war ein ganz anderer<br />

Kerl als der heutige. Er konnte so ziemlich alles, und er kam auf seiner abgeschiedenen<br />

Farm beinahe ohne die Außenwelt ganz gut aus. ›Der heutige amerikanische<br />

Farmer‹, schrieb zu Beginn der 90er Jahre Senator Peff er, einer von<br />

den Leitern der Farmers Alliance, ›ist ein ganz anderer Mensch als sein Ahne<br />

vor fünfzig oder hundert Jahren. Viele von den heute Lebenden erinnern sich<br />

<strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong> 261<br />

227 In China hat sich das häusliche<br />

Gewerbe bis in die jüngste<br />

Zeit sogar beim Bürgertum in weitem<br />

Maße erhalten, selbst in so großen<br />

und alten Handelsstädten, wie<br />

z. B. Ningpo mit seinen 300 000<br />

Einwohnern. ›Noch vor einem<br />

Menschenalter machten die Frauen<br />

selbst Schuhe, Hüte, Hemden<br />

und sonstiges für ihre Männer<br />

und für sich. Es erregte damals in<br />

Ningpo viel Aufsehen, wenn eine<br />

junge Frau irgend etwas bei einem<br />

Händler einkaufte, was sie<br />

durch den Fleiß ihrer Hände selbst<br />

hätte herstellen können.‹ (Nyok-<br />

Ching Tsur: <strong>Die</strong> gewerblichen<br />

Betriebsformen der Stadt Ningpo.<br />

Tübingen 1909. S.51)<br />

228 Das letzte Kapitel in der<br />

Geschichte der Bauernwirtschaft<br />

unter den Einwirkungen der kapitalistischen<br />

Produktion stellt freilich<br />

dieses Verhältnis auf den Kopf.<br />

Bei dem ruinierten Kleinbauer wird<br />

vielfach die Hausindustrie für kapitalistische<br />

Verleger oder einfach<br />

die Lohnarbeit in der Fabrik<br />

zum Hauptberuf der Männer, während<br />

der landwirtschaftliche Betrieb<br />

ganz auf die Schultern von Frauen,<br />

Greisen und Kindern abgewälzt<br />

wird. Ein Musterbeispiel bietet der<br />

Kleinbauer Württembergs.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!