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Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub

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Demgemäß verwandelten die Engländer schon 1793 in Bengalen alle<br />

Samindars, d. h. die vorgefundenen mohammedanischen Steuerpächter oder<br />

auch die erblichen Marktvorsteher in ihren Bezirken in Grundbesitzer dieser<br />

Bezirke, um sich auf diese Weise einen starken Anhang im Lande bei ihrem<br />

Feldzuge gegen die Bauernmasse zu schaff en. Genauso verfuhren sie auch später<br />

bei neuen Eroberungen, in der Provinz Agra, in Audh, in den Zentralprovinzen.<br />

<strong>Die</strong> Folge war eine Reihe von stürmischen Bauernaufständen, bei denen die<br />

Steuereinnehmer häufi g vertrieben wurden. In der allgemeinen Verwirrung und<br />

Anarchie, die dabei entstand, wußten englische Kapitalisten einen ansehnlichen<br />

Teil der Ländereien in ihre Hände zu bringen.<br />

Ferner wurde die Steuerlast so rücksichtslos erhöht, daß sie fast die ge-<br />

samte Frucht der Arbeit der Bevölkerung verschlang. Es kam so weit, daß<br />

(nach dem offi ziellen Zeugnis der englischen Steuerbehörde aus dem Jahre 1854)<br />

in den Distrikten Delhi und Allahabad die Bauern es vorteilhaft fanden, ihre<br />

Landanteile lediglich gegen die als Steuer auf sie entfallende Summe zu verpachten<br />

und zu verpfänden. Auf dem Boden dieses Steuersystems zog der Wucher<br />

in das indische Dorf ein und setzte sich in ihm fest, wie ein Krebs von innen die<br />

soziale Organisation zerfressend. 209 Zur Beschleunigung <strong>des</strong> Prozesses führten<br />

die Engländer ein Gesetz ein, das allen Traditionen und Rechtsbegriff en<br />

der Dorfgemeinde ins Gesicht schlug: die zwangsweise Veräußerlichkeit der<br />

Dorff elder wegen Steuerrückständen. Der alte Geschlechtsverband suchte sich<br />

dagegen vergeblich durch das Vorkaufsrecht der Gesamtmark und der verwandten<br />

Marken zu schützen. <strong>Die</strong> Aufl ösung war im vollen Gange. Zwangsversteigerungen,<br />

Austritte einzelner aus der Mark, Verschuldung und Enteignung<br />

der Bauern waren an der Tagesordnung.<br />

<strong>Die</strong> Engländer suchten sich dabei, wie es ihre Taktik in den Kolonien stets<br />

war, den Anschein zu geben, als sei ihre Gewaltpolitik, die völlige Unsicherheit<br />

der Grundbesitzverhältnisse und den Zusammenbruch der Bauernwirtschaft<br />

der Hindus herbeigeführt hatte, gerade im Interesse <strong>des</strong> Bauerntums und zu<br />

seinem Schutze gegen die eingeborenen Tyrannen und Ausbeuter notwendig<br />

gewesen.²¹⁰ A<br />

Anmerkung 210<br />

<strong>Die</strong>se typische Beleuchtung der offiziellen britischen Politik in den Kolonien findet man z. B. bei<br />

dem langjährigen Vertreter der englischen Macht in Indien, Lord Roberts of Kandahar, der zur<br />

Erklärung <strong>des</strong> Sepoyaufstan<strong>des</strong> B nichts anderes anzuführen weiß als lauter ›Mißverständnisse‹<br />

über die väterlichen Absichten der englischen Regenten:<br />

›Der Siedelungskommission warf man fälschlicherweise Ungerechtigkeit vor, wenn sie,<br />

wie es ihre Pflicht war, die Berechtigung von Landbesitz und auch die Führung von damit<br />

verbundenen Titeln kontrollierte, um dann den rechtmäßigen Besitzer eines Grundstücks<br />

zur Grundsteuer heranzuziehen … Nachdem Frieden und Ordnung hergestellt war, mußte<br />

der Landbesitz, welcher teilweise durch Raub und Gewalt erlangt war, wie das unter den<br />

eingeborenen Regenten und Dynastien die Gewohnheit ist, geprüft werden. Unter diesen<br />

Gesichtspunkten wurden Erörterungen angestellt in bezug auf Besitzrecht usw. Das<br />

Resultat dieser Untersuchungen war, daß viele Familien von Rang und Einfluß sich einfach<br />

das Eigentum ihrer weniger angesehenen Nachbarn angeeignet hatten oder sie zu<br />

einer Steuer heranzogen, die ihrem Landbesitz entsprach. Das wurde in gerechter Weise<br />

abgeändert. Obwohl diese Maßregel mit großer Rücksicht und in der besten Meinung getroffen<br />

wurde, war sie doch den höheren Klassen äußerst unangenehm, während es nicht<br />

gelang, die Massen zu versöhnen. <strong>Die</strong> regierenden Familien nahmen uns die Versuche,<br />

eine gerechte Verteilung der Rechte und gleichmäßige Besteuerung <strong>des</strong> Landbesitzes herbeizuführen,<br />

gehörig übel … Obwohl auf der anderen Seite die Landbevölkerung durch<br />

unsere Regierung bessergestellt wurde, kam sie doch nicht zur Erkenntnis, daß wir beabsichtigten,<br />

durch alle diese Maßregeln ihre Lage zu bessern.‹ C<br />

<strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong> 243<br />

209 ›The partition of inheritance<br />

and execution for debt levied<br />

on land are <strong>des</strong>troying the communities<br />

– this is the formla heard<br />

now-a-days everywhere in India.‹<br />

Henry Maine: l.c., S.113)<br />

A Im Prinzip ist dies eine der<br />

Hauptvarianten imperialistischer<br />

Propaganda geblieben: es geschieht<br />

jeder ›gewaltsame Eingriff‹<br />

– bspw. anfangs <strong>des</strong> Kalten<br />

Krieges im Iran 1953 (Mossadek<br />

und die Verstaatlichung der Anglo-<br />

Iranian Oil Company), gegen Ende<br />

<strong>des</strong> Kalten Krieges in Afghanistan,<br />

danach im Irak 1991 und 2003, in<br />

Jugoslawien 1999 – im Interesse<br />

und zum Schutz von ›Betroffenen‹<br />

[momen tan en vogue sind ›innere<br />

Unruhen‹ und ›Men schen rechte‹; zu<br />

›Menschen rechte‹ vgl. Karl Marx,<br />

|Zur Juden frage, edition babbel-<br />

Club 1|]. Lediglich faschistisch-<br />

rassistische Spielarten der bürgerlichen<br />

Herrschaft verzichten auf<br />

dieses Mimikry und sprechen ihre<br />

Haltung und Ziele verhältnismäßig<br />

offen aus [›Untermenschen‹ in<br />

verschiedener Nomenklatur]; vgl.<br />

dazu u. a. die schriftlichen und<br />

mündlichen italienischen Beiträge<br />

zu Äthiopien –Abessinienkrieg<br />

1935/36 – im ›Völkerbund‹, <strong>des</strong>sen<br />

›politische Reaktionen‹ ähnlich<br />

lauwarm-opportun waren wie die<br />

der ›Verein ten Nationen‹ (UNO)<br />

heute: falls ›unschöne Maßnahmen‹<br />

der USA oder ihrer ›Verbündeten‹<br />

bekannt werden und in die öffentliche<br />

Kritik geraten].<br />

B Sepoyaufstand, der große indische<br />

Aufstrand 1857, das Ende<br />

der Herrschaft der ›Britischen<br />

Ostindienkompanie‹, in Indien;<br />

Indien wurde ›Kronkolonie‹<br />

C Forty one years in India, Bd. I,<br />

deutsche Ausgabe 1904, S.307 ;<br />

[bei R.L. im Text]

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