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Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals ... - babbelClub

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→ von S.301<br />

c.267 Hat doch die Verfechterin<br />

der landwirtschaftlichen Interessen,<br />

die Freie Ökonomische Gesellschaft,<br />

kon statiert: ›Während der verflossenen<br />

60 Jahre, von 1822 bis 1882,<br />

hat die größte Produzentin Rußlands,<br />

die Landwirtschaft, viermal<br />

unermeßlichen Schaden erleiden<br />

müssen, wodurch sie in eine äußerst<br />

kritische Lage gebracht wurde, und<br />

in allen vier Fällen lag die unmittelbare<br />

Ursache an maßlos hohen Zolltarifen.<br />

Umgekehrt ist die 32jährige<br />

Zeitperiode von 1845 bis 1877, während<br />

der gemäßigte Zölle bestanden,<br />

ohne solche Notstände abgelaufen,<br />

ungeachtet der drei Kriege<br />

und eines inneren Bürgerkrieges<br />

(gemeint ist der polnische Aufstand<br />

1863 – R. L), von denen jeder eine<br />

größere oder geringere Anspannung<br />

der Finanzkräfte <strong>des</strong> Staates bewirkte.‹<br />

(Memorandum der Kaiserl.<br />

Freien Ökonomischen Gesellschaft<br />

in Sachen der Revision <strong>des</strong> russischen<br />

Zolltarifs, Petersburg 1890,<br />

S.148) Wie wenig in Rußland bis<br />

in die jüngste Zeit die Verfechter<br />

<strong>des</strong> Freihandels oder wenigstens<br />

eines gemäßigten Schutzzolls als<br />

die Vertreter der Interessen <strong>des</strong><br />

Industriekapitals betrachtet werden<br />

dürfen, beweist schon die Tatsache,<br />

daß die wissenschaftliche Stütze<br />

dieser freihändlerischen Bewegung,<br />

die genannte Freie Ökonomische<br />

Gesellschaft, noch in den 90er Jahren<br />

gegen den Schutzzoll gerade als<br />

gegen ein Mittel der ›künstlichen<br />

Verpflanzung‹ der kapitalistischen<br />

Industrie nach Rußland eiferte und<br />

im Geiste reaktionärer ›Volkstümler‹<br />

den Kapitalismus als die Brutstätte<br />

<strong>des</strong> modernen Proletariats denunzierte,<br />

›jener Massen militärdienstuntauglicher,<br />

besitzloser und heimatloser<br />

Menschen, die nichts zu<br />

verlieren haben und die seit langer<br />

Zeit keinen guten Ruf genießen …‹.<br />

(l.c., S.171) vgl. auch K. Lodyshenski:<br />

Geschichte <strong>des</strong> russischen Zolltarifs,<br />

Petersburg 1886, S.239—258<br />

|← S.300|<br />

Widerspruch der internationalen Schutzzollpolitik ist, gleich dem widerspruchsvollen<br />

Charakter <strong>des</strong> internationalen Anleihesystems, bloß ein Refl ex <strong>des</strong> geschichtlichen<br />

Widerspruchs, in den die Interessen der <strong>Akkumulation</strong>,<br />

d. h. der Realisierung und Kapitalisierung <strong>des</strong> Mehrwerts, der Expansion, zu<br />

den reinen Standpunkten <strong>des</strong> Warenaustausches geraten sind.<br />

Letzteres fi ndet namentlich darin seinen handgreifl ichen Ausdruck, daß<br />

das moderne Hochschutzzollsystem – entsprechend der kolonialen Expansion<br />

und den verschärften Gegensätzen innerhalb <strong>des</strong> kapitalistischen Milieus –<br />

wesentlich auch als Grundlage der verstärkten Militärrüstungen inauguriert<br />

wurde. In Deutschland wie in Frankreich, Italien und Rußland wurde die<br />

Umkehr zum Schutzzoll Hand in Hand mit Heeresvergrößerungen und in deren<br />

<strong>Die</strong>nste durchgeführt, als Basis <strong>des</strong> gleichzeitig begonnenen Systems <strong>des</strong><br />

europäischen Wettrüstens erst zu Lande und dann auch zu Wasser. Der europäische<br />

Freihandel, dem das kontinentale Militärsystem mit dem Schwerpunkt<br />

im Landheer entsprach, hat dem Schutzzoll als der Basis und Ergänzung <strong>des</strong><br />

imperialistischen Militärsystems, bei dem der Schwerpunkt immer mehr in der<br />

Flotte liegt, den Platz geräumt.<br />

<strong>Die</strong> kapitalistische <strong>Akkumulation</strong> hat somit als Ganzes, als konkreter geschichtlicher<br />

Prozeß, zwei verschiedene Seiten. <strong>Die</strong> eine vollzieht sich in der<br />

Produktionsstätte <strong>des</strong> Mehrwerts – in der Fabrik, im Bergwerk, auf dem landwirtschaftlichen<br />

Gut – und auf dem Warenmarkt. <strong>Die</strong> <strong>Akkumulation</strong> ist, von<br />

dieser Seite allein betrachtet, ein rein ökonomischer Prozeß, <strong>des</strong>sen wichtigste<br />

Phase zwischen dem Kapitalisten und dem Lohnarbeiter sich abspielt, der<br />

sich aber in beiden Phasen: im Fabrikraum wie auf dem Markt, ausschließlich<br />

in den Schranken <strong>des</strong> Warenaustausches, <strong>des</strong> Austausches von Äquivalenten<br />

bewegt. Friede, Eigentum und Gleichheit herrschen hier als Form, und es bedurfte<br />

der scharfen Dialektik einer wissenschaftlichen Analyse, um zu enthüllen,<br />

wie bei der <strong>Akkumulation</strong> Eigentumsrecht in Aneignung fremden Eigentums,<br />

Warenaustausch in Ausbeutung, Gleichheit in Klassenherrschaft umschlagen.<br />

<strong>Die</strong> andere Seite der Kapitalakkumulation vollzieht sich zwischen dem<br />

Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen. Ihr Schauplatz ist die<br />

Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales<br />

Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt<br />

und off en Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet<br />

Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die<br />

strengen Gesetze <strong>des</strong> ökonomischen Prozesses aufzufi nden.<br />

<strong>Die</strong> bürgerlich-liberale Th eorie faßt nur die eine Seite: die Domäne <strong>des</strong><br />

›friedlichen Wettbewerbs‹, der technischen Wunderwerke und <strong>des</strong> reinen <br />

Warenhandels, ins Auge, um die andere Seite, das Gebiet der geräuschvollen<br />

Gewaltstreiche <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong>, als mehr oder minder zufällige Äußerungen der<br />

›auswärtigen Politik‹ von der ökonomischen Domäne <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong> zu trennen.<br />

In Wirklichkeit ist die politische Gewalt auch hier nur das Vehikel <strong>des</strong><br />

ökonomischen Prozesses, die beiden Seiten der Kapitalakkumulation sind durch<br />

die Reproduktionsbedingungen <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong> selbst organisch miteinander verknüpft,<br />

erst zusammen ergeben sie die geschichtliche Laufbahn <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong>.<br />

<strong>Die</strong>ses kommt nicht bloß ›von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend‹<br />

zur Welt, sondern es setzt sich auch so Schritt für Schritt in der Welt<br />

durch und bereitet so, unter immer heftigeren konvulsivischen Zuckungen, seinen<br />

eigenen Untergang vor.<br />

302 <strong>Die</strong> geschichtlichen Bedingungen der <strong>Akkumulation</strong>

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