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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 102<br />

geschwunden, daß die Zeit der Weiberherrschaft Erfahrungen der blutigsten<br />

Art über die Erde herausgeführt hat. 137<br />

Auch Bachofen gibt zu, daß es mehre Versionen ein und desselben Mythos gibt<br />

und schreibt über Lykien, daß jede Untersuchung über das Mutterrecht vom<br />

lykischen Volk ausgehen muß, da es über sie die bestimmtesten auch an Inhalt<br />

reichsten Zeugnisse gibt. Er bezieht sich zunächst auf die Aufzeichnungen der<br />

Athener in wörtlicher Übertragung, um für alles Folgende eine sichere Grundlage<br />

zu gewinnen. Bachofens Quellen sind dafür unter anderem Herodot, der über die<br />

Lykier folgendes schreibt:<br />

Ihre Sitten sind zum Teil kretisch, zum Teil karisch. Jedoch eine sonderbare<br />

Gewohnheit haben sie, die sonst kein anderes Volk hat: sie benennen sich<br />

nach der Mutter und nicht nach dem Vater. Denn wenn man einen Lykier<br />

fragt, wer er sei, so wird er sein Geschlecht von Mutterseite angeben und<br />

seiner Mutter Mütter herzählen, und wenn eine Bürgerin mit einem Sklaven<br />

sich verbindet, so gelten die Kinder für edelgeboren; wenn aber ein Bürger,<br />

und wäre es der vornehmste, eine Ausländerin oder ein Kebsweib nimmt,<br />

so sind die Kinder unehrlich. 138<br />

Bachofen findet dieses Zitat vor allem deswegen merkwürdig, weil die Namensgebung<br />

nach der Mutter erfolgt, und zwar in Verbindung mit der rechtlichen<br />

Stellung durch die Geburt steht, folglich sich als Teil einer in allen ihren Folgen<br />

durchgeführten Grundanschauung darstellt. Eine weitere Quelle für Bachofen ist<br />

Nicolaus Damascenus:<br />

Die Lykier erweisen den Weibern mehr Ehre als den Männern; sie nennen<br />

sich nach der Mutter und vererben ihre Hinterlassenschaft auf die Töchter<br />

nicht auf die Söhne. 139<br />

Der Vergleich zwischen Mutterrecht und Vaterrecht ist bei Bachofen ein wesentlicher<br />

Aspekt seiner Darstellung. Die beiden nachfolgenden Zitate stellen das<br />

Vaterrecht dem Mutterrecht gegenüber:<br />

Im System des Vaterrechts heißt es von der Mutter mulier familiae suae<br />

et caput et finis est. Das ist: so viel Kinder das Weib auch geboren haben<br />

mag, es gründet keine Familie, es wird nicht <strong>for</strong>tgesetzt, sein Dasein ist ein<br />

rein persönliches. In dem Mutterrecht gilt dasselbe von dem Manne. 140<br />

Bachofen findet seine Vorstellung vom Zusammenhang von Mutterrecht, der Institution<br />

der Ehe und des Ackerbaus, die die Grundprinzipien dieser Gesellschaftsorganisation<br />

darstellen, durch Plutarch bestätigt:<br />

137 Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.176.<br />

138 Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.61; zit. Herodot I, 173.<br />

139 Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.61; zit. Müller, Fr.h.Gr. 3, 461.<br />

140 Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.71; Ulpianus, Dig.50, 16, 195, 5. – Gsius,<br />

Dig.50, 16, 196, I.

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