Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 76<br />
terrechtliche zur modernen monogamen Gesellschaftsorganisation eingegangen.<br />
Ausführlich sollen die Fragen diskutiert werden, warum gerade die mutterrechtlich<br />
organisierten <strong>Gesellschaften</strong> am Anfang der Menschheitsgeschichte gestanden<br />
haben sollen, und warum das Interesse der Autoren in der zweiten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts vor allem auf die rechtliche Stellung der Frau gerichtet war? Folgende<br />
Gründe könnten dafür ausschlaggebend gewesen sein:<br />
1. Die Stellung der Frau in der englischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts<br />
war extrem ungünstig; dies galt auch für die meisten übrigen Länder Europas<br />
und auch für die USA. Nirgends waren die verheirateten Frauen in der<br />
westlichen Welt ihren Ehemännern gleichgestellt, häufig – wie z.B. in England<br />
verloren sie nach der Eheschließung überhaupt alle Rechte; sie waren<br />
keine Rechtsperson mehr;<br />
2. erste Anzeichen einer beginnenden Frauenbewegung: Solidarisierung der<br />
Frauen gegen ihre Schlechterstellung; das wiederum könnte zur Folge gehabt<br />
haben, daß<br />
3. es Männer – vor allem die Männer des Bürgertums – wegen ihrer gesellschaftlichen<br />
Normen, am meisten getroffen hat. Arbeiterinnen verdienten<br />
zwar schlechter als ihre Männer, aber sie waren nicht im selben Ausmaß den<br />
sozialen Unterschieden des Geschlechts unterworfen wie die Bürgerfrauen.<br />
Wohl deshalb haben bürgerliche Männer sich in ihrer bisher unangetasteten<br />
Überlegenheit bedroht gefühlt.<br />
4. Bachofen glaubte mit seinem ” Mutterrecht“ den Beweis zu liefern, daß es<br />
in ferner Vergangenheit <strong>Gesellschaften</strong> gegeben habe, in denen die Frauen<br />
statusmäßig über den Männern gestanden hätten. Sofern es solche noch geben<br />
sollte, so würden sie in Regionen leben, die von Europa weit entfernt<br />
lägen. Allein die Vorstellung einer solchen ” mutterrechtlichen“ Gesellschaft<br />
muß für die Zeitgenossen erschreckend gewesen sein. Bachofens ” Mutterrecht“<br />
wurde von seinen wissenschaftlichen Zeitgenossen abgelehnt. Obwohl<br />
er diese Kulturstufe negativ belegte, erschien ihnen seine Theorie als irreales<br />
Hirngespinst. Die feministischen und auch marxistischen Bewegungen des<br />
20. Jahrhunderts sahen dagegen in Bachofens Theorie gerade den Ansatzpunkt<br />
für eine Neubewertung: für sie war die patriarchale Ordnung schlecht<br />
und die Gesellschaft sollte wieder zu ihren Ursprüngen, der mutterrechtlichorganisierten<br />
Ordnung, zurückkehren.<br />
Bachofen, Morgan, McLennan, wie auch Maine hatten eine juristische Ausbildung<br />
genossen; deshalb vermuten wir, daß das römische Recht und seine Entwicklung<br />
zugleich den Ausgangspunkt ihrer evolutionistischen Gesellschaftstheorien darstellte.<br />
Zum Unterschied des schriftlich festgehaltenen und weiterentwickelten,<br />
damit den komplexeren Gesellschafts<strong>for</strong>men im römischen Reich ständig angepaßten<br />
Form des römischen Rechts, wollten beide, Maine und Bachofen, eine<br />
ähnliche Entwicklung in der Gesellschaftsorganisation bei den schriftlosen Völkern