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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 104<br />

gesetzt, unabhängig von ihnen, ganz selbständig, eine Ehe abzuschließen.<br />

Daß diese Konsequenz richtig ist, das beweist Herodots Nachricht von den<br />

Frauen Lydiens: ” Die jungen Töchter der Lyder verkaufen sich alle und<br />

sammeln sich ihre Aussteuer, bis sie in die Ehe treten. So statten sie sich<br />

selbst aus“. 144<br />

Die Bestätigung dafür liefert ein von Pausanias (3,12,2) erhaltene Version des<br />

Danaidenmythos: Danaos verkündet, um seine durch Mord befleckten Töchter zu<br />

verheiraten, daß er keine Sponsalien und keine Brautgabe verlange, seine Töchter<br />

werden aber selbst wählen, wer ihnen am besten gefalle. Da nur wenige bereit<br />

waren, sich der Wahl zu stellen, veranlaßte der Vater eine Änderung des Systems:<br />

der Sieger im Wettkampf des Schnellaufs hat die Wahl der Braut. In den unterschiedlichen<br />

Versionen dieses Mythos geht immer wieder die Abscheu vor der<br />

erzwungenen Verbindung als Angelpunkt des ganzen Ereignisses hervor. Der erzwungene<br />

Ehebund ist es, den die Mädchen als Verletzung ihres höchsten Rechtes<br />

betrachten, dem sie selbst den Tod vorziehen würden und den sie, da er nun doch<br />

auferlegt wird, durch die Bluthochzeit rächen. Die freie Wahl wird als Grundgesetz<br />

gesehen, der in der Religion selbst begründeten Gynaikokratie. Die frevelnden<br />

Aegyptiaden müssen deshalb ermordet werden. Die Danaiden haben die heilige<br />

Pflicht, ihre Freiheit und Herrschaft im Haus, durch den Mord des eigenen, ihnen<br />

aufgezwungenen Gatten zu rächen. Nach dem Standpunkt der Gynaikokratie<br />

durften Frauen nicht Selbstmord begehen. Sie mußten handeln und damit das<br />

Recht der Gynaikokratie durch Mord aufrechterhalten. Im Selbstmord hätten die<br />

Männer gesiegt, aber sie mußten unterliegen. Bachofen sieht in den Danaiden die<br />

Heldengröße der Amazonen, die lieber blutig und grausam als mild und liebreich<br />

heißen wollen. 145<br />

Bachofen behandelt im ” Mutterrecht“ die sogenannte ” amazonische Ausartung“:<br />

darunter versteht er, daß die Frauen selbst durch ihre kriegerischen Feldzüge<br />

gegen die Männer zum Untergang des Mutterrechts beigetragen und dadurch<br />

dem Vaterrecht zu seiner heutigen Stellung verholfen hätten.<br />

Im Bienenstaat sieht Bachofen – wie auch andere Autoren – die Grundlage und<br />

das Vorbild für die Gynaikokratie. Bereits im antiken Athen wurde der Biene vielfach<br />

eine hohe Stellung in der Entwicklung des Menschengeschlechts eingeräumt.<br />

Bachofen zitiert Virgil:<br />

Das Bienenleben zeigt uns die Gynaikokratie in ihrer klarsten und reinsten<br />

Gestalt. Jeder Stock hat eine Königin. Sie ist die Mutter des ganzen<br />

Stammes. Neben ihr steht eine Mehrzahl männlicher Drohnen. Diese sind<br />

zu keinem anderen Geschäfte bestimmt als zu dem der Befruchtung. Sie<br />

arbeiten nicht und werden darum, wenn sie die Bestimmung ihrer Existenz<br />

144 Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, Kap. Ägypten, S.233—282, hier S.233–234,<br />

Herodot I,93; Bachofen (48): über die Frauen Lydiens.<br />

145 Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.234–238. Zum Danaidenmythus wird Pau-<br />

sanias 3,12, zitiert.

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