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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 82<br />

Aus diesem Zitat geht hervor, daß die etablierte Ordnung, vor allem im Privatbereich<br />

einer Gesellschaft, nur schrittweise neuen Verhältnissen angepaßt wird. Gerade<br />

Familienstrukturen und -hierarchien verändern sich langsam und nur dann,<br />

wenn bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt werden. Solange aber die<br />

Ehefrau abhängig vom Ehemann blieb, war eine rechtliche Veränderung ihrer<br />

Stellung innerhalb der Familie kaum möglich.<br />

In Frankreich blieb im Mittelalter das römische Recht (droit écrit) noch einflußloser<br />

als in Italien und Spanien. Die faktische Geltung wurde auf einen schmalen<br />

Südrand des Landes zurückgedrängt und nur ganz wenige seiner Prinzipien,<br />

die der rechtlichen Selbständigkeit der Frauen zugute kamen, hatten im mittelalterlichen<br />

Frankreich Geltung. In Mittel- und Nordfrankreich bestimmten die<br />

hauptsächlich von fränkischen Rechtsanschauungen beeinflußten Gewohnheitsrechte<br />

(droit contumier) die Rechtssprechung. Die Gewohnheitsrechte fanden in<br />

der sozialen Machtstellung der glänzenden“ Ritterschaft einen fruchtbaren Bo-<br />

”<br />

den und konnten sich hier, trotz des gesellschaftlichen Frauenkults, jahrhundertelang<br />

erhalten. Die französische Frau stand während der Karolingerzeit unter<br />

lebenslanger Geschlechtsvormundschaft und war ausgeschlossen vom Erbe an<br />

Grund und Boden. Die einzige Absicherung der Ehefrau – wie in den deutschen<br />

Ländern zur Zeit der Volksrechte – war eine Zuwendung des Mannes an sie für den<br />

Fall, daß sie Witwe wurde. Der Einfluß des römischen Rechts und der königliche<br />

Schutz der Witwen und Waisen gegen Ausbeutung durch die Sippen bewirkten,<br />

daß hier viel früher als in den deutschen Ländern, nämlich schon im 12. und 13.<br />

Jahrhundert, ledige und verwitwete Frauen von der privaten Geschlechtsvormundschaft<br />

befreit wurden. Die feudale Vormundschaft des Herrn über die Erbtochter<br />

seines Vasallen oder Bauern schwand gemeinsam mit dem Ersatz der Vasallenheere<br />

durch das Söldnerheer und damit gelangte die Erbfähigkeit der Töchter auch<br />

im Lehensbesitz zur endgültigen Anerkennung. Die Ehefrau aber blieb unter der<br />

” la main bournie“ (= Ehevogtei) ihres Gatten, die das Recht der Züchtigung<br />

einschloß. 64<br />

Mit der Renaissance war das klassische Alterum wiedererwacht und die humanistische<br />

Einstellung zum Recht wurde ge<strong>for</strong>dert, ebenso wie die Übertragung der<br />

Macht vom antiken römischen Reich auf das deutsche Reich, das laut einer Legende<br />

im 12. Jahrhundert Kaiser Lothar, der das römische Recht als sein eigenes<br />

Recht anerkannte. Damit wurde das Reich zum ” Heiligen Römischen Reich Deutscher<br />

Nation“. Diese Legende wurde aber 1643 von Hermann Conring in seinem<br />

Buch ” De origine iuris Germanici“ (Über den Ursprung des deutschen Reiches)<br />

widerlegt. 65<br />

Gleichzeitig wurde den Juristen im Zusammenhang mit der sozialen Unzufriedenheit<br />

im 16. Jahrhundert nachgesagt, daß sie in der Lage wären, jedem Argument<br />

ein Gegenargument entgegenzusetzen, sei es noch so fadenscheinig und damit<br />

die Prozesse ins Unendliche verlängern zu können. Deshalb seien sie ein Fluch<br />

64 Marianne Weber 1989, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S.247–248.<br />

65 Stein 1996, Römisches Recht und Europa, S.141.

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