Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 155<br />
(1) Bei diesen Stämmen finden sich starke<br />
Frauen außergewöhnlicher Statur; denn<br />
sie bestellen den Boden, säen den Mais,<br />
bringen Holz für den Winter ein, hecheln<br />
und spinnen Hanf, fertigen aus dem Garn<br />
Netze für den Fischfang und erledigen andere<br />
notwendige Dinge; ihre Arbeit ist es<br />
auch, den Mais zu ernten, zu entkörnen,<br />
zu kochen und das Haus in Ordnung zu<br />
halten, außerdem müssen sie ihren Gatten<br />
von Ort zu Ort nachziehen; auf den<br />
Feldern dienen sie als Packesel und schleppen<br />
die Lasten neben Tausenden anderer<br />
Pflichten und Dienstleistungen, die<br />
den Frauen obliegen und die sie erfüllen<br />
müssen. Was die Männer betrifft, so tun<br />
sie nichts anderes, als Hirsche und andere<br />
Tiere zu jagen, Fische zu fangen, Häuser<br />
zu bauen und auf den Kriegspfad zu gehen.<br />
(2) [Die] Beschäftigungen<br />
der Wilden sind Fischfang,<br />
Jagd und Krieg, Handel, die<br />
Herstellung von Unterkünften<br />
und Kanus oder die Fertigung<br />
des dafür benötigten<br />
Werkzeugs. Die restliche<br />
Zeit verbringen sie mit<br />
Müßiggang, Glücksspielen,<br />
Schlafen, Singen, Tanzen,<br />
Rauchen oder dem Feiern<br />
von Festen; wenn die Not es<br />
nicht gebietet, sträuben sie<br />
sich, irgendeine andere Arbeit<br />
zu verrichten, die zu den<br />
Pflichten der Frauen zählt.<br />
Die vorhandenen Quellen über die nordamerikanischen Stämme wurden im 18.<br />
und 19. Jahrhundert von den anglo-amerikanischen Verhältnissen stark beeinflußt<br />
und dadurch kamen weitere Fehlinterpretationen zustande. Bereits im 18.<br />
Jahrhundert waren die sechs irokesischen Stämme (häufig werden sie heute auch<br />
” nations“ genannt) gravierenden Veränderungen in ihrem sozialen, gesellschaftlichen,<br />
ökonomischen, politischen, kulturellen und religiösen Leben unterworfen.<br />
Sowohl die ökonomische Organisation als auch der Status der Frauen hatte sich<br />
bereits stark verändert. 102<br />
Ein zentrales Thema für Morgan war die Gentilgesellschaft: der Ursprung der<br />
Gens sei nicht mehr rekonstruierbar und die Entstehung völlig unbekannt und<br />
für immer verloren. Die Gentilgesellschaft sei danach die älteste und am weitesten<br />
verbreitete Institution der Menschheit und wird bei Morgan als universelle<br />
Organisation der antiken, der asiatischen, europäischen, amerikanischen und australischen<br />
Gesellschaft angesehen und begründe sich ausschließlich auf persönliche<br />
Beziehungen. Morgan glaubte, in Analogie zur griechischen Gens, Phratrie,<br />
Stamm und zur römischen Gens, Kurie, Stamm eine ähnliche Organisation bei<br />
den amerikanischen ” Ureinwohnern“ gefunden zu haben. 103<br />
Danach hätte sich die Gens unaufhörlich weiterentwickelt, ausgehend vom (1)<br />
Wechsel der Abstammung: von der weiblichen (archaischen, z.B. bei den Irokesen)<br />
zur männlichen Abstammung (bei den Griechen und den Römern). (2) Wechsel<br />
102 Brown 1975, Iroquois Women: An Ethnohistoric Note, S.236.<br />
103 Lewis Henry Morgan (1968): The Iroquois Gens, in: Paul Bohannan, John Middleton (Hg.):<br />
Kinship and Social Organization, The Natural History Press, Garden City, New York, S.161–<br />
169, hier S.161.