Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Familialisierung von sozialen Beziehungen 32<br />
möglich versucht, auf die Trennung zwischen Kernfamilie (bei Familie ist immer<br />
die Kernfamilie gemeint) und Verwandtschaft hinzuweisen.<br />
Nach Gough ist die Familie eine gesellschaftliche Institution, die sonst nirgends<br />
vor der Menschwerdung gefunden wurde! Gemeinsam mit dem Werkzeuggebrauch<br />
und der Sprache war die Familie ohne Zweifel die wichtigste Veränderung in der<br />
menschlichen Evolution. Sie bestimmte die Separation des Menschen von den Primaten.<br />
Der Mensch lernte seine sexuellen Wünsche, die individuelle Selbstsucht,<br />
auch seine Aggression und Konkurrenz zu kontrollieren. Die andere Seite der<br />
Selbstkontrolle führte zum Entstehen von ” Liebe“, nicht nur zwischen Mutter und<br />
Kind, sondern auch zwischen Mann und Frau. Die Zivilisation wäre unmöglich<br />
ohne Selbstkontrolle entstanden und sichtbare Zeichen sind z.B. Inzest-Tabus und<br />
Moralvorschriften innerhalb des Familienverbandes. 75<br />
Marianne Weber 76 (1907) schreibt, allen Gesellschafts<strong>for</strong>men des Menschen sei gemeinsam,<br />
daß sie bestimmten, strengen, auch anderen als uns bekannten Normen<br />
unterworfen waren und sind, und daß das Sexualleben des Menschen sich wesentlich<br />
vom rein tierischen Trieb unterscheidet. Eine der Bedingungen für die menschliche<br />
Gesellschaft ist ein ” gesittetes“ Leben mit reguliertem Geschlechtsverkehr,<br />
d.h. zum Beispiel Verbote gegenüber Blutsverwandten. Überdies erstrecke sich, so<br />
Marianne Weber, das Inzest-Tabu auf alle unter einem Dach lebenden Personen,<br />
zwischen denen aufgrund anerkannter gesellschaftlicher Normen eine Verpflichtung<br />
besteht, die Nahrung zu teilen. Die Nahrungsverteilung könne somit als<br />
ältester ” natürlicher“ Verwandtschaftskreis angesehen werden. 77<br />
Marianne Weber bezieht sich auf die klassischen evolutionistischen Theorien: danach<br />
war die Furcht des (Ehe-)Mannes vor anderen Männern besonders groß,<br />
deshalb durfte eine Frau, nachdem sie sich einem Mann angeschlossen hatte bzw.<br />
in seine Gewalt getreten ist, nicht mehr ohne seine Zustimmung mit anderen<br />
Männern verkehren, er konnte sie sogar zwingen, sich anderen Männern hinzugeben,<br />
im Sinn von Verleihen und/oder Vertauschen von Frauen mit befreundeten<br />
Männer mit und ohne Entgelt. Dies wurde als Herrenrecht des Stärkeren<br />
bezeichnet und sei ein Rest einer aller Völker gemeinsamen ” Entwicklungsstufe“<br />
ursprünglicher, allgemeiner ” Promiskuität“ (= wahlloser Geschlechtsverkehr<br />
aller Volks- und Hordengenossen); oder ” Kollektivehen“ (= Geschlechtsverkehr<br />
einer bestimmt umgrenzten Gruppe von Männern mit einer bestimmt umgrenzten<br />
Gruppe von Frauen innerhalb einer Horde oder eins Stammes). – Hier besitzt<br />
die Frau die Freiheit nach ihrem Gefallen mit mehreren Männern Geschlechtsverkehr<br />
zu haben; was aber nach neuesten Forschungen nach Marianne Weber<br />
widerlegt wurde. 78<br />
75 Gough 1975, The Origin of the Family, S.73.<br />
76 Marianne Weber (1989): Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. – Eine Einführung,<br />
Scientia Aalen, 2. Neudruck der Ausgabe Tübingen 1907, Aalen.<br />
77 Marianne Weber 1989, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S.9.<br />
78 Marianne Weber 1989, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S.8. Diese Thematik<br />
wird ausführlich in der vorliegenden Arbeit in Kapitel 2 diskutiert.