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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Familialisierung von sozialen Beziehungen 36<br />

Einheit entsteht durch eine Anzahl von interpersonellen Beziehungen, die die<br />

beteiligten Individuen kollektiv aneinander bindet. 83 Innerhalb einer Kernfamilie<br />

sind acht verschiedene Beziehungsmuster möglich: Ehemann–Ehefrau, Vater–Sohn,<br />

Vater–Tochter, Mutter–Sohn, Mutter–Tochter, Bruder–Bruder, Tochter–Tochter<br />

und Bruder–Schwester. 84<br />

Die Beziehung zwischen Mann und Frau in der Kernfamilie ist durch das sexuelle<br />

Privileg bestimmt. Dieses Privileg wird allen verheirateten Paaren im sozialen<br />

Kontext innerhalb jeder menschlichen Gesellschaft zugestanden. Es gibt natürlich<br />

auch festgelegte temporäre sexuelle Tabus, diese variieren von Gesellschaft zu Gesellschaft.<br />

Beispiele für einzelne, zeitlich begrenzte sexuelle Meidungsgebote innerhalb<br />

der Kernfamilie sind z.B. während der sogenannten ” Unreinheit“ der Frau,<br />

der Menstruationszeit, während und nach einer Schwangerschaft, sowie in Phasen,<br />

die bestimmte Übergänge repräsentieren, also wenn Gefahren für die Frau,<br />

den Mann oder den Kindern drohen. Männer sind ebenso davon betroffen, vor<br />

allem dann, wenn es auf ihre Aggression ankommt, wenn sie z.B. Vorbereitungen<br />

für Jagd- oder Kriegszüge treffen; sexuelle Tabus sind in diesen Zusammenhängen<br />

weit verbreitet.<br />

Das sexuelle Privileg des Ehepaares soll aber nicht als ein ausschließlich garantiertes<br />

angesehen werden, denn es kann auch die außereheliche sexuelle Verbindung<br />

eines oder beider Teile der Kernfamilie erlaubt sein. Als Beispiel nennt Murdock<br />

die Banaro von Neu Guinea. In dieser Gesellschaft darf sich der Bräutigam seiner<br />

jungen Frau erst nähern, wenn sie bereits ein Kind von einem ” sib-friend“ seines<br />

Vaters geboren hat. 85 Es wäre daher ein Fehler, die sexuelle Exklusivität zwischen<br />

Ehemann und Ehefrau als definitorisches Kriterium für ” Familie“ heranzuziehen.<br />

Die Behauptung Murdocks, daß die Kernfamilie universell in allen menschlichen<br />

<strong>Gesellschaften</strong> vorhanden sei, veranlaßte den Soziologen Rolf Eickelpasch 86 zu einer<br />

grundsätzlichen Kritik. Georg Peter Murdocks ” Social Structure“ sei zwar<br />

bis heute die wichtigste Arbeit, aber die unkritische Übernahme seiner Aussagen<br />

habe zu weiteren Fehlinterpretationen geführt. Eickelpasch wirft den amerikanischen<br />

Kulturanthropologen vor, daß sie mit ihren Cross-Cultural-Untersuchungen<br />

über evolutionistische Spekulationen Universalien, die alle Kulturen gemeinsam<br />

hätten, herauszuarbeiten versuchten. Nach Eickelpasch hält die These von der<br />

Universalität der Kernfamilie einer Strukturanalyse familialer Systeme in fremden<br />

<strong>Gesellschaften</strong> nicht stand. Er meint, daß die Kernfamilie nicht als urwüchsiges<br />

und universales Grundmuster angesehen werden könne, sondern aus einer<br />

Vielzahl möglicher Kombinationen elementarer Beziehungsdyaden, in erster Linie<br />

der Mutter-Kind-Einheit analytisch aufzulösen sei. Die Variation unterliege historischen<br />

und sozio-ökonomischen Abhängigkeiten und außerdem beinhalte der<br />

83 Murdock 1949, Social Structure, S.3.<br />

84 Murdock 1949, Social Structure, S.3–4.<br />

85 Murdock 1949, Social Structure, S.5.<br />

86 Rolf Eickelpasch (1974): Ist die Kernfamilie universal? – Zur Kritik eines ethnozentrischen<br />

Familienbegriffs, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg.3, Heft 4, Oktober, S.323–338.

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