Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 130<br />
lichen Verwandten an einem Ort und ihre Frauen sind aus anderen Wohnorten<br />
zu ihnen übersiedelt und wurden von ihren Verwandten getrennt. Die Vorteile<br />
die sich bei patrilokaler Residenz für die Männer ergeben, sind: Polygynie,<br />
Anhäufung von Besitz durch Vererbung, politische Macht, kriegerisches Ansehen<br />
(durch Kriegsgefangene, Beutegüter) und diese Vorteile der Männer bestehen<br />
ebenso bei avunkulokaler Residenz. Der Grund, warum Avunkulokalität weniger<br />
häufig auftritt als Patrilokalität, dürfte sich – nach Murdock – durch den ungewöhnlichen<br />
Wohnortwechsel der Knaben und Jugendlichen bei oder vor der<br />
Heirat ergeben. Sie müssen den Wohnort ihrer Eltern verlassen und durch das<br />
Domizil des Bruders der Mutter ersetzen, dadurch wird der männliche Einfluß<br />
innerhalb einer matrilokalen Vereinbarung verstärkt. Bei den Haida Britisch Columbiens,<br />
den Longuda Nigerias und bei den Trobriandern Melanesiens ist diese<br />
Art des Wohnortwechsels üblich und müßte eigentlich im Laufe der Zeit zur patrilokalen<br />
Residenz führen. Der Ehemann bringt seine Ehefrau nicht zum Wohnort<br />
seiner Eltern, sondern zum Wohnort des mütterlichen Onkels des Vaters, wo das<br />
Paar nach der Heirat gemeinsam leben wird. 26<br />
Bei der Definition von Avunkulokalität treten immer wieder Unklarheiten auf, vor<br />
allem dadurch, daß nur vom ” Mutterbruder“ gesprochen wird und daraus nicht<br />
hervorgeht welcher Mutterbruder gemeint ist. Frank Robert Vivelo definiert in seinem<br />
” Handbuch der Kulturanthropologie“ im Glossar die avunkolokale Residenz<br />
wie folgt:<br />
Avunkulokal bedeutet ” Ort des Mutterbruders“; es bezieht sich auf eine<br />
Residenz<strong>for</strong>m, bei der das Ehepaar als Einheit beim oder nahe dem Mutterbruder<br />
des Mannes lebt (aus diesem Grunde manchmal auch viriavunkulokale<br />
Residenz genannt). Es bezieht sich auch auf die in einigen <strong>Gesellschaften</strong><br />
mit <strong>Matrilineare</strong>r Deszendenz und Virilokaler Residenz<br />
bei verheirateten Frauen vorkommende Praktik, nach welcher die Kinder<br />
einer Frau mit einem gewissen Alter ihren Geburtshaushalt verlassen und<br />
statt bei ihrer Mutter nunmehr bei ihrem Mutterbruder oder in dessen<br />
Nähe leben. 27<br />
Murdock nennt zwei <strong>Gesellschaften</strong> aus Afrika, die den Wechsel ihrer Sozialorganisation<br />
vor noch nicht allzu langer Zeit vollzogen haben. (1) Die Henga von<br />
Tanganyika, welche matrilinear und uxorilokal organisiert waren, übernahmen –<br />
fast gleichzeitig mit dem Eindringen der patrilinearen Ngoni – die patrilokale<br />
Residenz und patrilineare Deszendenz. (2) Ähnlich verlief der Übergang bei den<br />
Bena von Ubena, die zuerst die patrilokale Residenzregel übernahmen und danach<br />
veränderten sich ihre Matrisibs zu Patrisibs. 28<br />
26 Murdock 1949, Social Structure, S.207–209.<br />
27 Frank Robert Vivelo (1988): Handbuch der Kulturanthropologie. – Eine grundlegende<br />
Einführung, Übersetzt von Erika Stagl, herausgegeben und mit einer Einleitung von Justin<br />
Stagl, dtv/Klett-Cotta, München, S.311.<br />
28 Murdock 1949, Social Structure, S.212. Der Wandel sei – wie Murdock vermutet – erst in<br />
den letzten Jahren abgeschlossen worden.