Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 117<br />
schlecht an den Frauen, die sich ihr anvertrauen, oder wie Röder et al. es umschreiben:<br />
” Die autonome Matriarchats- und Göttinnen<strong>for</strong>schung hat einen Markt<br />
geschaffen, auf dem sie ihre Erkenntnisse in bare Münze umsetzt“. 180<br />
Bachofen konnte man noch zugute halten, daß er sich nur auf spärliche archäologische<br />
Funde aus der Frühzeit berufen hatte können, doch was von heutigen Autorinnen<br />
an rein spekulativen Kulturinterpretationen angeboten wird, läßt sich<br />
vom wissenschaftlichen Standpunkt kaum begründen, d.h. hier spielen offenbar<br />
eine Reihe von ” praktischen“ und/oder psychologischen Motiven eine Rolle. Dazu<br />
bemerken Röder et al.:<br />
Angesichts der Tatsache, daß das Matriarchat für viele als historische<br />
Wahrheit gilt und darüber hinaus zahlreiche sozialpsychologische Funktionen<br />
erfüllt, ist es höchste Zeit, die Frage ” Was ist dran an ‘Mutterrecht’<br />
und ‘Matriarchat’?“ (Laugsch 1990) von seiten der für sie zuständigen<br />
Archäologie zu beantworten. 181<br />
Röder et al. gehen weiters auf die sowjetische Archäologie der 1950er Jahre ein,<br />
die eine enge Verbindung zur Ethnologie hatte. In diesem Zusammenhang sind<br />
durch Feld<strong>for</strong>schung Beweise erbracht worden, daß Matriarchat und Patriarchat<br />
nicht mehr zur Periodisierung der Menschheitsgeschichte herangezogen werden<br />
sollten; aus ihren Feld<strong>for</strong>schungen schlossen die sowjetischen Ethnologen, daß es<br />
wie in den rezenten segementären <strong>Gesellschaften</strong> auch in denjeniger der grauen<br />
Vorzeit keine Herrschaftsverhältnisse gegeben haben könne, d.h. der Status<br />
von Männern und Frauen weitgehend gleich gewesen sein müsse, wie Semenov<br />
1979 und Fluehr-Lobban 1988 bemerkten. 182 Röder et al. kritisieren an dieser<br />
Vorgangsweise, daß damit in der Rekonstruktion von <strong>Gesellschaften</strong> des Neolithikums<br />
und der Bronzezeit höchstens die Matrilinearität einbezogen werde, was<br />
aber nur ein Teilaspekt des Matriachats darstellen könne. – Meiner Meinung nach<br />
unterschätzen Röder et al., wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Archäologie<br />
und Ethnologie sein sollte und deshalb vermute ich, daß die Zurückweisung<br />
der Ethnologie durch die Autorinnen dazu dienen solle, ihr vorgefaßtes Konzept<br />
eines Matriarchats zumindest für die Archäologie zu retten.<br />
Die Vertreter der Kulturkreislehre hatten wiederum die Welt in Kulturkreise“<br />
”<br />
geteilt und nach Entwicklungsstufen sortiert, damit die sogenannten Urkultu-<br />
”<br />
ren“, Grundkulturen“, Primär- und Sekundärkulturen“ als aufsteigende Linie<br />
” ”<br />
der Entwicklung der Menschheit verstanden werden können. 183<br />
” Die Parallelisie-<br />
180Röder et al. 1996, Göttinnendämmerung, S.102–104.<br />
181Röder et al. 1996, Göttinnendämmerung, S.110–111.<br />
182Röder et al. 1996, Göttinnendämmerung, S.119. Juri I. Semenow (1979): Comment to<br />
Fluehr-Lobban, in: Current Anthropology, 20:816-820, hier S.818; sowie Carolyn Fluehr-Lobban<br />
(1988): Marxism and the Matriarchat. One-Hundred Years after Engels’ Origini“, in: Joachim<br />
”<br />
Hermann, Jens Köhn (Hrsg.), Familie, Staat und Gesellschafts<strong>for</strong>men. Grundprobleme vorkapitalistischer<br />
Epochen einhundert Jahre nach Friedrich Engels’ Werk Der Ursprung der Familie,<br />
”<br />
des Privateigentums und des Staats“, Berlin(Ost), S.173–180.<br />
183Röder et al. 1996, Göttinnendämmerung, S.122.