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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 71<br />

Der Grundgedanke der Evolutionisten war, daß alles, was einfacher, primitiver,<br />

brutaler, abstruser, grausamer oder einfach unverständlicher für sie anmutete,<br />

entsprechend alt zu sein hat. Sie übernahmen das prähistorische ” Dreiperiodensystem“<br />

als historische Basis für die materielle Kultur. Tylors Vorschlag dazu war,<br />

eine chronologische Ordnung mit Hilfe von ” survivals“ zu gewinnen. Als Survival<br />

bezeichnet er Reste aus einer früheren Gesellschaftsphase, die in der Gegenwart<br />

keinen wirklichen Sinn mehr besitzen, aber trotzdem in der Tradition verankert<br />

sind.<br />

Die Hauptthesen Tylors waren: (1) der Evolutionismus, (2) die Doktrin des Animismus,<br />

(3) die Theorie der Adhäsion und (4) das Konzept des Survivals. Tylors<br />

” Research into the Early History of Mankind and Development of Civilization“<br />

erschien 1865 und stellte eine Vorarbeit für sein Hauptwerk ” Primitive Culture“<br />

(1871) dar. 1881 publizierte er sein populärstes Buch mit dem Titel ” Anthropology“;<br />

danach folgten keine weiteren Bücher, aber viele Artikel. Sein bedeutendster<br />

ist ” On a Method of Investigating the Development of Institutions; Applied to the<br />

Laws of Marriage and Descent“, der 1889 im Journal of the Royal Anthropological<br />

<strong>Institute</strong> abgedruckt wurde. 31 Tylor veranschaulichte seine Auffassung über<br />

die Institutionen der Menschheit, die sich überall in bestimmten Reihenfolgen im<br />

Sinne von geologischen Schichten ohne Verzweigungsmöglichkeiten überlagerten.<br />

Noch heute spielt die Vorstellung der Überschichtung zeitlich früherer <strong>Gesellschaften</strong><br />

durch spätere in der ethnologischen Theorienbildung häufig eine wichtigere<br />

Rolle als die Selektionslehre von Darwin. 32<br />

Das Survival-Konzept blieb beim Studium religiöser und sozialer Faktoren in der<br />

Ethnologie als methodisches Verfahren ohne Wirkung, weil der Nachweis kaum zu<br />

erbringen war. In der Ur- und Frühgeschichte wurde deshalb das Survival nur auf<br />

die materielle Kultur bezogen und entwickelte sich zum wichtigsten Instrument<br />

der ” typologischen Methode“. Die eigentliche Schwierigkeit bei der evolutionistischen<br />

Interpretation lag bei den religiösen und sozialen Faktoren, die ebenfalls<br />

unter dem Aspekt der Entwicklung gedeutet wurden. Es gibt aber für eine historische<br />

Zuordnung keine objektiven Kriterien. Häufig waren die vielen, oft widersprechenden<br />

” Entwicklungsstufen“, die Ergebnisse rein subjektiver Werturteile,<br />

die sich bei Tylor auf die viktorianische Moral als letztendlicher Bewertungsmaßstab<br />

stützten. Tylor hatte selbst ausdrücklich davor gewarnt und doch konnte<br />

er die eigenen persönlichen Wertvorstellungen nicht gänzlich bei seinen Arbeiten<br />

ausschließen. Besonders verwerflich waren für die Evolutionisten die Vorstellungen<br />

von Kannibalismus und Kopfjagd, die sie als sehr frühes Gesellschaftselement<br />

sahen, obwohl sie erst in viel jüngeren Phasen auftraten. 33<br />

31 Edward Burnett Tylor (1889): On a Method of Investigating the Development of Institutions;<br />

Applied to the Laws of Marriage and Descent, in: Journal of the Royal Anthropological<br />

<strong>Institute</strong>, 18:245–269.<br />

32 Raum 1983, Evolutionismus, S.276.<br />

33 Koloß 1986, Der ethnologische Evolutionismus im 19. Jahrhundert, S.22–23.

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