Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 136<br />
sind, zählen zur direkten Kindestötung. Eine andere Methode wären verlängerte<br />
Stillzeiten, die bei begrenzter Nahrung zu Geburtsintervallen von drei oder mehr<br />
Jahren führen können. Meist wird die verlängerte Stillzeit mit anderen Methoden<br />
kombiniert, um die Personenanzahl einer Gruppe stabil zu halten. 42<br />
Unter Kriegführung verstehen Divale und Harris alle organisierten Formen von<br />
Totschlag zwischen Gruppen von zwei oder mehr Personen, inklusive Fehden<br />
und Überfälle. Nach ihrer Untersuchung wurde der ethnologische Beweis für<br />
die Existenz institutionalisierter männlicher Vorherrschaft durch die asymmetrische<br />
Häufigkeit von bestimmten geschlechtsbezogenen gesellschaftlichen Regeln<br />
erbracht. Davon sind einige Aspekte sehr gut bekannt, andere hingegen weniger<br />
oder nur als Einzelphänomene. Divale und Harris beziehen sich auf Murdocks<br />
Klassifikation von 1967, und zählen zu den bekanntesten Teilen dieses männlich<br />
zentrierten Komplexes: (a) postmaritale Wohnortbestimmung sowie (b) entsprechende<br />
Abstammungsideologien. Von den von Murdock genannten 1.179 <strong>Gesellschaften</strong><br />
bevorzugen drei Viertel entweder patrilokale oder virilokale, nur ein<br />
Zehntel matrilokale oder uxorilokale Residenzregeln. Die beiden Autoren sehen<br />
die bevorzugte Maritalresidenz in enger Verbindung mit der Kontrolle über die<br />
natürlichen Ressourcen, dem Besitz und der Arbeitskraft; daraus ergibt sich die<br />
ungleiche Verteilung der Abstammungsregeln, d.h. Patrilinearität entwickelt sich<br />
fünf Mal häufiger als Matrilinearität. Die Interpretation der statistisch nachgewiesenen<br />
ungleichen Verteilung von geschlechtsspezifischen Residenz- und Abstammungsregeln<br />
bevorzugen vor allem die männliche Seite. Zwei wesentliche Faktoren<br />
könnten dafür ausschlaggebend sein: (1) matrilineare <strong>Gesellschaften</strong> sind wesentlich<br />
häufiger mit avunkulokaler als mit uxorilokaler Maritalresidenz kombiniert;<br />
(2) bei patrilokaler Residenz gibt es hingegen keine Form, die der Avunkulokalität<br />
entsprechen würde. Amitalokalität wäre die Opposition zu Avunkulokalität, die<br />
aber nirgends vorkommt. Amitalokalität, wenn sie bestünde, würde bedeuten, daß<br />
die Maritalresidenz eher bei der Schwester des Vaters der Frau (wife’s father’s sister)<br />
wäre als im Falle der Avunkulokalität, wo der Wohnort des Ehepaares beim<br />
Bruder der Mutter des Ehemannes (husband’s mother’s brother) gewählt wird. 43<br />
Warum sich <strong>Gesellschaften</strong> mit matrilinearer Deszendenz wesentlich häufiger für<br />
die Avunkulokalität und Patrilokalität entscheiden (mehr als die Hälfte (58 %) der<br />
matrilinear organisierten <strong>Gesellschaften</strong> entscheiden sich für diese beiden Formen<br />
der Maritalresidenz), kann durch folgende Theorie erklärt werden: (1) In matrilinearen<br />
<strong>Gesellschaften</strong> dominieren nicht seltener als in patrilinearen <strong>Gesellschaften</strong><br />
die Männer die Verteilung der Familienressourcen. (2) Weiters tendieren matrilineare<br />
<strong>Gesellschaften</strong> dazu, daß sie sich mit patrilinearen Systemen verbinden und<br />
langsam wieder zur Gesellschaftsorganisation von Patrilokalität und Patrilinearität<br />
zurückkehren; Avunkulokalität wird dabei als Übergangsphase zur Patrilo-<br />
42 Harris 1989, Kulturanthropologie, S.113–116.<br />
43 Divale und Harris 1976, Population, Warfare, and the Male Supremacist Complex, S.521.