Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 65<br />
daß – mit wenigen Ausnahmen – Entwicklungstheorien aufgestellt werden konnten.<br />
Giovanni Battista Vico (1668–1744) entwarf in seinem Werk: ” Grundzüge<br />
einer neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker“ (1725)<br />
eine zyklische Entwicklungstheorie, die zur Begründung der Völkerpsychologie<br />
und zur neueren, idealistischen Geschichtsphilosophie führte. 7 Die Bibel wurde<br />
als Ausgangspunkt gesehen, und daraus geschlossen, daß es schon zu Beginn der<br />
Menschheitsgeschichte ” entwickelte“ <strong>Gesellschaften</strong> gab, die später nach der Vertreibung<br />
aus dem Paradies eine Degeneration erfuhren. Der Geschichtsverlauf der<br />
sogenannten ” Naturvölker“ – im Sinne des 19. Jahrhunderts – wurde als eine Entwicklung<br />
zum Positiven gesehen, der als Fortschritt zu interpretieren sei. 8 Diese<br />
frühen Theorien über den Gesellschaftswandel sprachen den Jäger- und Sammlergesellschaften<br />
jegliche Entwicklungsfähigkeit ab. 9<br />
Die eigentlichen Vorläufer der klassischen Evolutionisten des 19. Jahrhunderts<br />
waren aber die schottischen Gelehrten der Aufklärung. Ihnen wurde<br />
erstmals durch die Auswirkungen der ” Industriellen Revolution“ und der kolonialen<br />
Expansion der Europäer bewußt, daß die gesellschaftlichen Zustände unablässig<br />
großen Veränderungen unterworfen sind. Adam Ferguson (1723–1816)<br />
schuf mit seiner dreiteiligen Periodisierung der Menschheitsgeschichte – die Epochen<br />
der Wildheit (savagery), der Barbarei (barbarism) und der Zivilisation (civilization)<br />
– die Grundlage für die Stufentheorie der Evolutionisten. Fast gleichzeitig<br />
entstanden die ebenfalls einflußreichen Stufentheorien von Immanuel Kant<br />
(1724–1804), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) und Antoine Condorcet<br />
(1743–1794). 10<br />
Henry Lewis Morgan übernahm – wie später viele andere – das Dreiperiodensystem<br />
und unterlegte ihm folgende Erklärung:<br />
Schließlich ist noch zu bemerken, daß die Kultur der Menschheit überall<br />
ziemlich den gleichen Weg durchlaufen hat, daß die menschlichen Bedürfnisse<br />
unter ähnlichen Bedingungen ziemlich dieselben gewesen sind, und<br />
daß die Wirkungen der geistigen Tätigkeit kraft der Übereinstimmung des<br />
Gehirns aller Menschenrassen gleichförmig gewesen sind. Doch ist dies nur<br />
ein Teil der Erklärung jener Gleichförmigkeit in den Resultaten. Die Keime<br />
der hauptsächlichsten Institutionen und Künste des Lebens entwickelten<br />
sich zu einer Zeit, wo die Menschen noch Wilde waren. In sehr großem<br />
Umfang ist die Erfahrung der nachfolgenden Perioden der Barbarei und<br />
Zivilisation auf die Weiterentwicklung dieser ursprünglichen Auffassungen<br />
verwandt worden. Überall wo auf verschiedenen Kontinenten ein Zusammenhang<br />
zwischen einer gegenwärtigen Institution und einem gemeinsamen<br />
Keim sich auffinden läßt, kann man auf die Herkunft der betreffenden<br />
7 Werner Stein (1979): Der große Kulturfahrplan. – Die wichtigsten Daten der Weltgeschichte<br />
bis heute in thematischer Übersicht, Herbig-Verlagsbuchhandlung, München.<br />
8 Koloß 1986, Der ethnologische Evolutionismus im 19. Jahrhundert, S.21.<br />
9 Raum 1983, Evolutionismus, S.275; J.W. Raum spricht von Jagdschar- und Stammesgesellschaften;<br />
das Wort ” Jagdschar“ ist ein heute kaum noch in der Ethnologie verwendeter Begriff,<br />
deshalb wird er in der vorliegenden Arbeit nicht verwendet.<br />
10 Raum 1983, Evolutionismus, S.275–276.