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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Familialisierung von sozialen Beziehungen 28<br />

auf die Jagd gehen. Aber sie wird getrennt konsumiert, in der historischen<br />

Einheit der Familie, die sich überall findet. Hier wird die pflanzliche<br />

Nahrung eingebracht, die die Frau gesammelt hat. Hier wird gekocht und<br />

gemeinsam verzehrt.<br />

Auf dieser Familie ruht noch nicht der gesellschaftliche Druck, der sich<br />

später in Ackerbaugesellschaften findet. Ackerbauern brauchen für ihr<br />

Überleben eine ausreichende Zahl ansässiger Kinder. Jägerhorden ergänzen<br />

sich nicht durch die Geburt von Kindern, sondern auch durch den verhältnismäßig<br />

leicht möglichen Zugang von außen. ... Ihr Problem ist selten der<br />

Mangel, sondern eher der Überfluß an Kindern, an überflüssigen Essern.<br />

... Die Familie hat nicht den gesellschaftlichen Zweck der Erzeugung von<br />

Kindern, wie später. Ihre Entstehung ist nur die historische Folge der Erzeugung<br />

von Kindern, über Neotenie und Arbeitsteilung, nicht ihr Zweck.<br />

Sie ist eine ziemliche freie Verbindung von Frau und Mann, ihre ökonomische<br />

Grundlage nur individuell, nicht gesamtgesellschaftlich vermittelt. 61<br />

Während Sally Slocum ihre Kritik vor allem gegen die Überschätzung der evolutionären<br />

Bedeutung der Jagd richtete und Uwe Wesel die Familie primär im<br />

Kontext von Überlebenschancen durch geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sieht,<br />

gründet Kathleen Gough ihre Theorie wiederum auf die aus biologischen Bedingungen<br />

gestellten An<strong>for</strong>derungen an die Sozialisation.<br />

Der Ursprung der Familie sei mit dem aufrechten Gang verbunden gewesen. 62 Er<br />

hatte zwei anatomische Folgen: im Laufe von Jahrtausenden wurden die Köpfe<br />

größer und die Becken kleiner. Die Kinder konnten deshalb nicht mehr so lang im<br />

Mutterleib bleiben und mußten zunehmend früher geboren werden. Sie waren bei<br />

ihrer Geburt weniger entwickelt, länger hilflos und abhängig von der Pflege und<br />

Ernährung durch ihre Mütter. Je länger ein Kind abhängig ist, desto länger ist es<br />

beeinflußbar, desto mehr kann es lernen. Die Neotenie, die längere Abhängigkeit<br />

von der Mutter, sei der Grund für die Zunahme menschlicher Intelligenz und kulturellen<br />

Verhaltens – Ursprung und Bedingung von Gesellschaft und Zivilisation<br />

– wohl der wichtigste Beitrag der Frauen zur Entwicklung von Humanität, denn<br />

sie waren es, die die Kinder ständig um sich hatten. Jedenfalls wurde der Beitrag<br />

der Frauen bisher von der männlichen Forschung stark unterschätzt. 63<br />

Slocum bezieht sich auf rezente Jäger- und Sammlergesellschaften, die in Randgebieten<br />

leben; trotzdem gelingt es den Frauen (mit Ausnahme der Arktis),<br />

genügend Nahrungsmittel zu sammeln, um ihre Familien zu ernähren. Das Sammeln<br />

der Frauen liefert die Hauptnahrungsgrundlage, und es gibt keinen Grund,<br />

warum es im frühen Pleistozän anders gewesen sein sollte. Daraus könnte man<br />

schließen, daß sich während der Evolution der Hominiden zum Homo sapiens<br />

dominante Männer (tapfere, aggressive Krieger und erfolgreiche Jäger) mit dominanten<br />

Frauen (kräftige, junge, schöne, fruchtbare Frauen) in unterschiedlichen<br />

61 Wesel 1980, Der Mythos vom Matriarchat, Kap. XII, S.81–82.<br />

62 Gough 1975, The Origin of the Family, S.60f.<br />

63 Siehe zu Neotenie: Slocum 1975, Woman the Gatherer, S.39–40; Gough 1975, The Origin<br />

of the Family, S.61; Wesel 1980, Der Mythos vom Matriarchat, Kap. XII, S.81–82.

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