Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Regionalgebiet Afrika: Der ” matrilineare Gürtel“ 226<br />
Umgebung lebenden Dorobo stehen, die bis vor kurzem noch Jäger und Sammler<br />
waren. Danach glauben die Zigua und Ngulu, daß eines ihrer wichtigsten rituellen<br />
Ahnenopfer, das mviko kisasa, von den Dorobo überliefert wurde, die als spirituelle<br />
Meister angesehen, deshalb auch teilweise mit der Durchführung der Ahnenopfer<br />
betraut werden. Gleichzeitig werden sie als die ersten Menschen bezeichnet,<br />
die das Land besiedelten, denen auch mystische Qualitäten zugeschrieben werden.<br />
In einer Version wird von einem mythologischen Helden, namens Seuta ( ” einer,<br />
der Bogen und Pfeil hat“) berichtet, der den Zigua und Ngulu Bogen und Pfeil<br />
brachte. 129<br />
Während des Njeje-Ritus wird am frühen Morgen kisenga, eine Tonfigur vorgeführt;<br />
andere Figuren sind bereits in der Nacht gezeigt worden. Der Körper<br />
von kisenga ist mit roten und weißen Maiskörnern reich verziert. Die Anordnung<br />
der Maiskörner entspricht den runden und geraden Formen der früheren Kisenga-<br />
Figuren aus Holz, die mit Zweigen verziert waren. Die teilnehmenden Frauen<br />
freuen sich über den Auftritt von Kisenga, den sie mit Zweigen des Mhomba<br />
Baumes bewedeln. Die rituelle Spezialistin bewundert mit Gesten und Worten<br />
das Aussehen der Figur und erhält kleine Geldgeschenke. Zwei Frauen schlagen<br />
die Machindi-Trommeln und es werden Kisenga-Lieder gesungen, denen aus<br />
Begeisterung andere Lieder folgen können. Nach Grohs wird kisenga als das bedeutendste<br />
kihiri angesehen; gleichzeitig werden sehr unterschiedliche Versionen<br />
darüber erzählt sowie unterschiedliche Erklärungen der Symbolik gegeben, welche<br />
sich zum Teil widersprechen. Kisenga konnte sowohl eine Frau als auch einen<br />
Mann darstellen, wieder andere sahen in kisenga den Geist von der Matrilineage<br />
der Mutter. In der Figur werden männliche und weibliche Formen kombiniert.<br />
Dies könnte auf das erste Zusammentreffen der beiden Familien beim mgongo-<br />
Baum hinweisen: die Vertreterin des Bräutigams in männlicher Kleidung und<br />
aggressivem Verhalten, die Novizin mit gesenktem Blick und passiv. Grohs vermutet,<br />
daß die Aggressivität auf die Gefahren der Sexualität selbst hinweisen, denn<br />
wann immer weibliche und männliche Symbole zusammenträfen, wie Mörser und<br />
Stößel, Bogen und Pfeil, Kochtopf und Kochlöffel und in ungewöhnlicher Weise<br />
benutzt werden, dann symbolisieren sie die gefährlichen Aspekte der Sexualität,<br />
insbesondere des außerehelichen Kontakts. 130<br />
Der Umgang mit Aggressivität und die Einschüchterung durch bestimmte wilde<br />
Tiere finden sich in weiteren Szenen, z.B. im Ukala-Ritus; Kala in der Bedeutung<br />
eines wilden Tieres und ukala als das große Geheimnis der Frauen. Dabei sind<br />
zwei Frauen durch schwarze Tücher und weiße Blätter, die ein leopardenartiges<br />
Muster darstellen, bedeckt. Die Novizin wird mit drohenden Lauten empfangen<br />
und flüchtet entsetzt, wenn sie die Drohung ” das wilde Tier frißt [die] Mwali“<br />
hört. Die Frauen rufen ihr begeistert zu: ” Sie hat es gesehen, sie hat das wilde Tier<br />
gesehen.“ Damit ist der Höhepunkt der Initiation erreicht. Darin spiegelt sich die<br />
Angst vor dem Ungeheuer, dem Tod und der Wiedergeburt wider, wiedergeboren<br />
129 Grohs 1995, Frauen und rituelle Macht am Beispiel der Zigua und Ngulu, S.249.<br />
130 Grohs 1995, Frauen und rituelle Macht am Beispiel der Zigua und Ngulu, S.266–267.