Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 123<br />
schaftsfamilie über die Punaluafamilie zur syndyasmischen (Paarungs-)Familie,<br />
die die Voraussetzung für die monogame Familie sei, möglich gewesen. Der Übergang<br />
von einer matrilinear organisierten Gesellschaft sei – nach Engels – nur dann<br />
möglich, wenn sich bereits (1) die monogame Ehe durchgesetzt habe, denn nur<br />
dann werde der Vater als leiblicher anerkannt; (2) die Zähmung von Haustieren<br />
und der Bodenbau als Voraussetzung von Vorratswirtschaft und ” Reichtum“, damit<br />
sei die Jagd bedeutungslos geworden und diente eher dem Vergnügen als der<br />
Versorgung mit Fleisch. Mit der Bildung von Reichtum stelle sich die Frage, wer<br />
der mögliche Erbe sei. Erst dadurch sei die Grundlage für den Übergang von<br />
der matrilinearen zur patrilinearen Deszendenz geschaffen worden. Engels gibt<br />
aber zu bedenken, daß es nicht klar sei, wie sich dieser Übergang bei den ” Kulturvölkern“<br />
der alten Welt vollzogen hätte, alle Äußerungen darüber beruhen nur<br />
auf Spekulationen. Als die Alleinherrschaft der Männer vollzogen war, entwickelte<br />
sich die patriarchale Familie als Zivilisations<strong>for</strong>m, wie sie in der römischen Familie<br />
am vollkommensten ausgebildet gewesen sei. 4<br />
George Peter Murdock beschreibt in seinem Buch ” Social Structure“ die unterschiedlichen<br />
Formen von sozialen Strukturen innerhalb von Lokalgruppen und<br />
Verwandtschaftsverbänden und betrachtet dabei vor allem die Veränderungen<br />
in der Sozialorganisation. Er verwendet den Begriff ” Evolution“, nicht wie in<br />
anderen Wissenschaftsdisziplinen – wie etwa in der Biologie in Verbindung mit<br />
organischen Veränderungen, oder wie von den klassischen Evolutionisten des 19.<br />
Jahrhunderts als Abfolge von kulturellen Stufen –, sondern im Sinne von gesellschaftlichem<br />
Wandel. Seine Kritik an der Theorie der Evolutionisten ist, daß alle<br />
<strong>Gesellschaften</strong> von einem einfachen, d.h. matrilinearen System ausgegangen seien<br />
und zu einem komplexeren, d.h. patrilinearen System sich weiterentwickelt<br />
hätten; obwohl bereits Ende des 19. Jahrhunderts festzustellen gewesen wäre,<br />
daß z.B. die irokesischen Stämme eine wesentlich komplexere Gesellschaftsorganisation<br />
besaßen als manche andere patrilineare Systeme, die im Vergleich relativ<br />
” rückständig“ waren. Die von ihnen angenommene relative ” Rückständigkeit“<br />
von matrilinearen <strong>Gesellschaften</strong> im Vergleich zu patrilinearen <strong>Gesellschaften</strong> ist<br />
nach Murdock jedenfalls historisch nicht nachweisbar. Erst 60 bis 70 Jahre später<br />
fanden kritische Auseinandersetzungen zu dieser Thematik statt. 5<br />
Lesser und White versuchten die evolutionistischen Prinzipien in ihre Theorie zu<br />
integrieren, danach seien z.B. Jagen und Sammeln überall der Viehzucht und<br />
dem Bodenbau vorausgegangen, ebenso ging die Steinzeit überall dem Gebrauch<br />
von Metallen voraus, daraus schlossen sie, daß sich die Sozialorganisation ebenso<br />
” verhalten“ müsse. Murdock liefert anhand der irokesischen Stämme den Gegenbeweis:<br />
Matrilinearität muß nicht mit der Abwesenheit von politischen Institutionen<br />
verbunden sein. Ebenso wie die irokesischen Stämme entwickelten die Haida,<br />
4 Friedrich Engels (1984): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates<br />
(Erstausgabe 1884, Nachdruck der 4. und ergänzten Auflage von 1892), in: Karl Marx Friedrich<br />
Engels Werke, Band 21, Dietz Verlag, Berlin, S.27–83, hier insbes. S.58–61.<br />
5 George Peter Murdock (1949): Social Structure, The Macmillan Company, New York, Kapitel<br />
8: Evolution of Social Organization, S.184–259; hier vor allem S.184–195.