Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 152<br />
Schon die Evolutionisten des 19. Jahrhunderts haben sich ausführlich mit der<br />
Stellung der Frau bei den irokesischen Stämmen beschäftigt und ihnen eine<br />
Stufe innerhalb der gesellschaftlichen Evolution zugewiesen, wie z.B. Bachofen:<br />
Sumpfvegitation – Gynaikokratie – Patriarchat – Zivilisation. Trotz aller Unterschiede<br />
zwischen den Evolutionisten waren sie alle überzeugt, den Charakter der<br />
gesellschaftlichen und politischen Allianzen aufzeigen zu können, wenn sie nur<br />
die urprünglichen Formen und die Entwicklung der Verwandtschaftsstrukturen<br />
enträtseln könnten. 95<br />
Die Mehrheit der Autoren, die sich mit der Thematik der Gesellschaftsordnung<br />
der ” Irokesen“ beschäftigt haben, sahen diese als homogene Gruppe an. In den<br />
Quellen wird meist der Sammelbegriff ” Irokesen“ und ” Huronen“ verwendet, obwohl<br />
beide Konföderationen aus mehreren Stämmen zusammengesetzt waren.<br />
Richtig ist, daß die Mehrheit der in dieser Region lebenden <strong>Gesellschaften</strong> eine<br />
gemeinsame Sprache, Parallelen in ihrer Sozialorganisation, gesellschaftlichen<br />
Entwicklung, Wirtschaft, Politik, Militärwesen und Religion hatten. Archäologische<br />
Funde weisen darauf hin, daß um ca. 500 n.Chr. die gesellschaftliche Entwicklung<br />
für alle ähnlich verlaufen sein dürfte, einschließlich eines raschen Wandels<br />
zu dörflichen Siedlungen und zum Gartenbau. 96<br />
Die Rekonstruktion der irokesischen Gesellschaftsorganisation der ” klassischen<br />
Zeit“ war bereits im 18. Jahrhundert schwierig. Zwei Quellen werden sehr häufig<br />
zitiert: die Berichte des Jesuitenpaters Père Joseph-François Lafitau (1681–1746)<br />
und die Lebenserinnerungen der Mrs. Mary Jemison (1742/43–1833), die als weiße<br />
Amerikanerin als Jugendliche entführt und später von zwei Seneca-Schwestern<br />
adoptiert worden war. 97<br />
tional Museum of Canada, Ottawa, S.137. B.H. Quain (1961): The Iroquois, in: Margaret Mead<br />
(Hrsg.), Cooperation and Competition among Primitive Peoples, Beacon Press, Boston. Weiterführende<br />
Literatur zur Stellung der Frau innerhalb matrilinear und uxorilokal organisierten<br />
<strong>Gesellschaften</strong> in Nordamerika: Sara H. Stites (1905): Economics of the Iroquois, Bryn Mawr<br />
College Monographs 1, No.3. Murdock 1949, Social Structure; sowie Kathleen Gough (1974):<br />
The Modern Disintegration of Matrilineal Descent Groups, in: David M. Schneider und Kathleen<br />
Gough (Hrsg.), Matrilineal Kinship, Paperback Ausgabe der 1. Auflage von 1961, University of<br />
Cali<strong>for</strong>nia Press, Berkeley. David F. Aberle (1961): Matrilineal Descent in Cross-cultural Perspective,<br />
in: David M. Schneider und Kathleen Gough (Hrsg.): Matrilineal Kinship, University<br />
of Cali<strong>for</strong>nia Press, Berkeley. Roy G. D’Andrade (1966): Sex Differences and Cultural Institutions,<br />
in: Eleanor Maccoby (Hrsg.), The Development of Sex Differences, Stan<strong>for</strong>d University<br />
Press, Stan<strong>for</strong>d, CA. Gordon Ingliss (1970): Northwest American Matriliny: The Problem of<br />
Origins, in: Ethnology 9 (April), S.149–159.<br />
95 Karen Anderson (1995): Frauenwelt, Männerwelt und politische Ökonomie bei den Huronen<br />
im 17. Jahrhundert, in: Ilse Lenz und Ute Luig (Hrsg.), Frauenmacht ohne Herrschaft. –<br />
Geschlechterverhältnisse in nichtpatriarchalischen <strong>Gesellschaften</strong>, Fischer Taschenbuch Verlag,<br />
Frankfurt am Main, S.190–219, hier S.194; Anderson bezieht sich vor allem auf Rosalind Coward<br />
(1983): Patriarchal Precedens, London, S.73.<br />
96 Anderson 1995, Frauenwelt, Männerwelt, S.192, verweist auf: Bruce Trigger (1976): The<br />
Children of Aataentsic, 2 Bde., Montreal, S.131.<br />
97 Wesel 1980, Der Mythos vom Matriarchat, Kap.XVI, Die Irokesen, S.107. Wesel verweist<br />
auf Irene Schumacher (1972): Gesellschaftsstruktur und Rolle der Frau. Das Beispiel der Iroke-