Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 126<br />
Seßhaftigkeit lange bevor sich eine Differenzierung zwischen matrilinearen und<br />
patrilinearen Abstammungsgruppen ergab.<br />
Neuere Forschungsergebnisse konnten beweisen, daß intertribale Ähnlichkeiten,<br />
die in sehr beschränkten Regionen gefunden wurden, sich sehr selten auf einen<br />
größeren Kulturraum ausbreiten, oder nur auf eine Minderheit von <strong>Gesellschaften</strong><br />
einer Sprachgemeinschaft. Die wichtigsten gesellschaftlichen Organisations<strong>for</strong>men<br />
sind auf allen fünf Kontinenten in allen möglichen Variationen vorhanden:<br />
Wohnortregel, Abstammungsregel, Typen der Verwandtschaftsterminologie; Formen<br />
der Familienorganisation, Typen der Klanorganisation, Typen von bilateraler<br />
Verwandtschaft, und Typen von Moieties. Zum Beispiel findet sich die irokesische<br />
Verwandtschaftsterminologie auf allen fünf Kontinenten und dabei sogar in Afrika<br />
(20 Fälle) und Ozeanien (27) häufiger als in Nordamerika (18), Eurasien (10)<br />
oder Südamerika (6). 14<br />
Eine historische Verbindung zwischen Stämmen, die offensichtlich eine verwandte<br />
Sprache sprechen, kann am wenigsten angezweifelt werden. Aber auch diese<br />
<strong>Gesellschaften</strong>, die einer Sprachfamilie angehören, unterscheiden sich in ihrer Sozialorganisation<br />
ebenso häufig wie nicht sprachlich verwandte. Murdock bezieht<br />
sich in seinem Sample auf drei malayo-polynesische Stämme Sumatras, davon sind<br />
(1) die Batak patrilinear, (2) die Mentaweias bilateral und (3) die Minangkabau<br />
matrilinear organisiert. Daraus schließt wiederum Murdock, daß es fast uneingeschränkte<br />
Variationsmöglichkeiten der Sozialorganisation gibt, auch wenn es eine<br />
gemeinsame historische Vergangenheit gegeben hat. Bei der malayo-polynesischen<br />
Sprachfamilie, die sich über den gesamten pazifischen Raum erstreckt (ausgenommen<br />
sind New Guinea und Australien), erscheinen unvermutete Ähnlichkeiten und<br />
ebenso verhält es sich mit den Unterschieden. 15<br />
Der Funktionalismus konnte ebensowenig wie die historische Anthropologie Licht<br />
in die Dynamik des gesellschaftlichen Wandels bringen. Die soziologischen und<br />
linguistischen Theorien waren dabei wesentlich hilfreicher, um Veränderungen in<br />
der Sozialstruktur zu er<strong>for</strong>schen. Linguisten bemerkten bei ihren Untersuchungen<br />
von Veränderungen in den Sprachen ein besonderes Phänomen, das gewöhnlich<br />
als ” drift“ (Abweichung) bezeichnet wird: Sprecher einer bestimmten Sprache<br />
ändern ihre Aussprache, z.B. den Schlußkonsonanten, aber es können ebensogut<br />
auch andere Konsonanten bei der Aussprache Veränderungen unterworfen werden.<br />
Häufig treten diese Unterschiede zwischen Hoch- und Umgangssprache auf. 16<br />
Die Formen und die Struktur einer Sprache sind relativ unabhängige ” Körper“<br />
innerhalb der Gesamtheit einer Gesellschaft, deshalb sei es schwierig, Sprachentwicklungen<br />
über bestimmte soziale Ereignisse zu erklären, so Murdock.<br />
Weiters merkt Murdock an, daß sich einige Formen der Sozialorganisation schneller<br />
verändern als andere; z.B. ändern sich Ehe<strong>for</strong>men wesentlich rascher: Muslime<br />
14 Murdock 1949: Social Structure, Siehe dazu Tabelle 57, S.192–194.<br />
15 Murdock 1949, Social Structure, S.195–196.<br />
16 Murdock 1949, Social Structure, S.197–198: Murdock stellt in seinem Beispiel Latein-<br />
Deutsch-Englisch gegenüber: duo – zwei – two und tres – drei – three.