Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 159<br />
men. Die lange Abwesenheit der Männer (manchmal Jahre) stärkte sowohl die<br />
Solidarität zwischen den Männern als auch zwischen den Frauen. 109<br />
Bei allen irokesisch-sprachigen Völkern Nordamerikas kann der Status von Frauen<br />
bzw. Männern am ehesten durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erklärt<br />
werden. Dadurch wurden zunächst Männer und Frauen von einander getrennt,<br />
gleichzeitig waren sie durch ihre Verwandtschaftsstrukturen in wirtschaftlichen,<br />
politischen und sozialen Einheiten verbunden. Die Gesellschafts<strong>for</strong>m war egalitär<br />
organisiert, d.h. es gab keine Befehlsgewalt. Die verwandtschaftlichen Beziehungen<br />
bestimmten die Produktionsverhältnisse, die jeder Person ergänzende Pflichten<br />
und Rechte zuordnete. Anderson zeigt am Beispiel der Wendat/Huronen-<br />
Konföderation, daß jede einzelne Person auf sechs Ebenen in die Gesellschaft<br />
eingebettet war: (1) die Kernfamilie; (2) das Langhaus, eine erweiterte matrilineare,<br />
uxorilokale Einheit; (3) der matrilineare Klan; (4) das Dorf; (5) der Stamm;<br />
(6) die Konföderation. 110<br />
(1) Die Kernfamilie: Keines der beiden Geschlechter wurde als stärker, rationaler<br />
oder moralischer veranlagt angesehen; vielleicht waren die Frauen etwas höher<br />
angesehen, denn sie gebaren und ” bevölkerten das Land“, wie Anderson über die<br />
Frauen innerhalb der Konföderation der Wendat schreibt. 111 Durch die uxorilokale<br />
Residenz und die häufige Abwesenheit der Männer wurde die Solidarität unter<br />
den Frauen gestärkt: die enge Beziehung zur Mutter und zu den Schwestern war<br />
stärker als die zum Ehemann.<br />
Heirat, Scheidung, Adoption, Geburt und Tod waren wichtige Einschnitte im Leben<br />
des Einzelnen, denn sie führten zu Veränderung in den Verwandtschaftsbeziehungen.<br />
Die Heiratsallianzen begründeten zwei wichtige wirtschaftliche Beziehungen:<br />
die Verbindung zwischen zwei Klanen und ihren Langhäusern. Die Klanführer<br />
hatten kaum Einfluß bei der Partnerwahl ihrer weiblichen Verwandten. Die einzige<br />
– unbedingt einzuhaltende – Regel bei der Wahl des Sexual- oder Ehepartners<br />
war die Klanexogamie. Die Mütter organisierten die Ehen, die Kinder erhielten<br />
den Namen der Frau und die Vorräte wurde von den Frauen verwaltet. Marianne<br />
Weber bemerkt in diesem Zammenhang, daß man von einer ” Ehe“ nach Mutterrecht<br />
sprechen könne, denn Ehestiftung war ausschließlich Sache der Frauen. Die<br />
Ehe war rechtlich von beiden Seiten jederzeit löslich, aber die Sippe mißbilligte<br />
willkürliche Scheidungen. 112 Polygynie wurde bei den Seneca toleriert, wie Mrs.<br />
Mary Jemison erzählt, denn ihr Sohn John hatte zwei Ehefrauen. 113 In Schei-<br />
109 Brown 1975, Iroquois Women: An Ethnohistoric Note, S.245.<br />
110 Anderson 1995, Frauenwelt, Männerwelt, S.201.<br />
111 Anderson 1995, Frauenwelt, Männerwelt, S.214. Dies findet sich auch bei Elisabeth Grohs<br />
(1995): Frauen und rituelle Macht am Beispiel der Zigua und Ngulu Ost-Tansanias, in: Ilse<br />
Lenz und Ute Luig (Hg), Frauenmacht ohne Herrschaft. – Geschlechterverhältnisse in nichtpatriarchalischen<br />
<strong>Gesellschaften</strong>, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt am Main, S.247–275; dazu<br />
ein Kommentar einer rituellen Expertin über die weibliche Selbsteinschätzung: ” ... Die Frauen<br />
stehen höher, weil sie Kinder gebären. Durch sie wird das Land gefüllt. ...“, S.270.<br />
112 Marianne Weber 1989, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S.39.<br />
113 Namias 1995, A Narrative of the Life of Mrs. Mary Jemison, Kap.10, S.124.