Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Regionalgebiet Südostasien 261<br />
5.3.1 Mythen zur Genesis und Adat-Traditionen<br />
Für das Verständnis des matrilinearen Systems der Minangkabau sind die bisher<br />
besprochenen historischen Hinweise nicht ausreichend. Deshalb werden die<br />
Mythen und tambo als zusätzliche In<strong>for</strong>mationen genutzt. Es wird aber keine<br />
Mythenanalyse oder Interpretation durchgeführt, sondern es soll veranschaulicht<br />
werden, welche Veränderungen sich durch das Eindringen des Islam in der traditionellen<br />
Geschichte vollzogen haben. Dabei spielt vor allem die Kombination von<br />
älteren Traditionen und der Integration islamischer Vorstellungen eine Rolle. Als<br />
anschauliches Beispiel dient die Beziehung zwischen Adityavarman und Iskandar<br />
Zulkarnain (Alexander dem Großen).<br />
Die patrilinearen Toba Batak im Norden können über mehr als zehn Generationen<br />
über ihre Ahnen berichten. In diesem Zusammenhang wird über Seuchen, Kriege<br />
oder Dorfsegmentierung, erzählt. Sie haben relativ genaue Kenntnisse über die<br />
Gründe, die zur Wanderung ihrer Ahnen geführt haben: es heißt z.B., daß es vor<br />
10 Generationen eine Seuche gegeben hat und ihre Ahnen von ihrer früheren Niederlassung<br />
im Norden in eine neue Ansiedlung über den Fluß gewandert seien.<br />
Diese detaillierten Beschreibungen gibt es über die Minangkabau nicht. Worauf<br />
das zurückzuführen ist, konnte nicht geklärt werden. Die von Kato angeführte Vermutung,<br />
daß die Minangkabau vor dem Eindringen des Islam keine Schrift hatten<br />
und erst danach mit der arabischen Schrift und dem Kalendersystem (wahrscheinlich<br />
Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts) ihre Traditionen bewahrten,<br />
reicht als Erklärung nicht aus. Die Minangkabau besitzen über ihre Vergangenheit<br />
keine dynastischen Annalen oder Chroniken, sondern tambo. Literarisch gesehen,<br />
stellen sie Geschichten aus alten Zeiten oder traditionelle Histographien dar, ohne<br />
daß sie sich auf einen bestimmten Zeitpunkt beziehen. In tambo wird eine Idealwelt<br />
beschrieben, die ursprünglich oral überliefert und erst später in arabischer<br />
Schrift in Brief<strong>for</strong>m niedergeschrieben wurde. Eine Sammlung von Ursprungsgeschichten<br />
und adat-Regeln bilden die Grundlage der Gesellschaftsnormen (hakum<br />
adat). 58<br />
In der traditionellen Geschichte wird Adityavarman als erster Chief der Minangkabau<br />
gesehen. Hingegen leitet sich im Minangkabau-Mythos ihr Ursprung von<br />
einem der drei Söhne des Iskandar Zulkarnain, der mit Alexander dem Großen verbunden<br />
wird, ab. 59 Es gibt zahlreiche Versionen von tambo, gemeinsam ist ihnen,<br />
daß sie sich an den Gesellschaftsnormen orientieren und die zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen regulieren wollen.<br />
Ein Abstammungsmythos beginnt mit der Genesis der Minangkabau Welt (alam<br />
Minangkabau) und zeigt, welchen Einfluß der Islam auf die traditionelle Geschichte<br />
hatte:<br />
In the beginning there was only the Light of Muhammead (Nur Muhammad),<br />
through which God created this universe, ‘the sky and the earth.’<br />
58 Kato 1982, Matriliny and Migration, S.33.<br />
59 Kahn 1980, Minangkabau Social Formation, S.8.