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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Regionalgebiet Afrika: Der ” matrilineare Gürtel“ 202<br />

Krieger brauchen größere Mengen an Nahrungsmittelvorräten, weil sie für längere<br />

Zeit versorgt sein müssen und sich nicht im ” eigenen“ Land befinden. Externale<br />

Kriegführung bedingt eine längere zeitliche Abwesenheit der kriegführenden<br />

Männer, d.h. die Hauptverantwortung für die Produktion von Nahrungsmittel<br />

liegt bei den Frauen, die nun mehr oder weniger eine solidarische Produktionsgemeinschaft<br />

bilden. Es sind dann natürlich auch die Frauen, welche die Nahrungsmittelvorräte<br />

anlegen. Der Zugriff der Männer auf diese Nahrungsreserven<br />

steht nun unter dem Vorbehalt der Frauen, d.h. eine Entscheidung der Männer<br />

für einen Kriegszug ist aus diesem Grunde ohne die Billigung der Frauen kaum<br />

mehr möglich. Damit rücken die Frauen auch bei politischen Entscheidungen in<br />

den Mittelpunkt, wenngleich in der Regel ” nur“ mitberatend, aber nicht mitentscheidend;<br />

hier sind wohl verschiedene Grade der Partizipation der Frauen<br />

anzunehmen.<br />

Sechstens, die Aufwertung des Wohnortes der Frau nach der Heirat, also<br />

die bevorzugte Uxori-/Matrilokalität, war folglich die Voraussetzung für die<br />

Umstellung zur matrilinearen Deszendenzregel, denn auch hier diente der<br />

Wechsel demselben Zweck, nämlich der Absorption von Unsicherheit bzw. der<br />

Restabilisierung in einer wichtigen Dimension der Sozialstruktur.<br />

Siebtens, diese Umstellung zur bevorzugten Uxorilokalität und Matrilinearität<br />

erzeugt neue, gesellschaftsstrukturelle Spannungen: da sich die Männer ja<br />

nicht immer auf Kriegszügen befinden, sondern auch in das Dorfleben integriert<br />

sein müssen, entsteht bei den Männern das Gefühl der Dominanz der Frauen, welches<br />

bei den Männern zu einem zentralen Thema der Kommunikation wird und<br />

einen ” Bedarf“ an Männersolidarität hervorruft. Bei Abnahme der Häufigkeit<br />

oder gänzlichem Verschwinden von Kriegszügen verstärkt sich dieses emotionale<br />

Empfinden der Männer und genau in diesem Zusammenhang sieht auch Kubik<br />

(1987) die weite Verbreitung von Maskentraditionen und Geheimbünden in matrilinearen<br />

<strong>Gesellschaften</strong>. Die Maskentraditionen und/oder Geheimbünde stellen<br />

also eine Art Kanalisation von inneren sozialen und psychologischen Spannungszuständen<br />

dar. Diese Kanalisierung wird wohl nur dann auf Dauer genügen, wenn<br />

die Rahmenbedingungen für die externale Kriegführung <strong>for</strong>tbestehen. Verändern<br />

sich diese – aus welchen Gründen auch immer –, dann befinden sich matrilineare<br />

<strong>Gesellschaften</strong> in einem strukturell bedingten Ungleichgewicht. Ein naheliegender<br />

Schritt wäre z.B. der Übergang zur bevorzugten Avunkulokalität. Wie das Beispiel<br />

der Bemba zeigt, ist der Übergang zur bevorzugten Virilokalität nur dann<br />

möglich, wenn es für die Mehrheit der Männer Ressourcen gibt, die für die Zahlung<br />

eines Brautpreises eingesetzt werden können; da solche Ressourcen bei den<br />

Bemba in den 1930er Jahren fehlten, war dieser Übergang nur beschränkt möglich<br />

– für Chiefs, bzw. ” chiefly“-Lineages etc. stand dieser Weg offen, für die Mehrzahl<br />

jedoch nicht und wenn, nur mit Zustimmung der Frau.<br />

Diese schematische Darstellung des Zyklus von bevorzugter Virilokalität und Patrilinearität<br />

zu bevorzugter Uxorilokalität und Matrilinearität paßt insofern zumindest<br />

im großen und ganzen zu den oben beschriebenen Daten, da sich zwi-

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