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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 77<br />

rekonstruieren. Hier aber lag die Schwierigkeit. Bachofen verwendete ausnahmslos<br />

Mythen, die ihm quasi als historische Quellen dienten, zur Beweisführung<br />

seiner Theorie der Gesellschaftsentwicklung. Er verkannte aber den Unterschied<br />

zwischen schriftlich fixierten Gesetzestexten, die nur einen einzigen Bereich der<br />

Gesellschaft abdecken und den wesentlich vielfältigeren Mythen, die nicht nur die<br />

Gesellschafts- und Weltordnung erklären, sondern darüber hinaus einem ständigen<br />

Wandel und Anpassungsdruck der religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und<br />

rechtlichen Wirklichkeiten der Vergangenheit auf die Gegenwart übertragen. Wir<br />

kennen heute nur wenige Formen der einzelnen Mythen, die die Zeit überlebt und<br />

irgendwann aufgeschrieben wurden. Und diese Verschriftlichung der Mythen wurde<br />

häufig nicht von jenen durchgeführt, die sich diese Mythen mündlich erzählten,<br />

sondern sind erst viel später von den Griechen und Römern interpretiert,<br />

verändert und aufgeschrieben worden.<br />

Bachofen hat die Bedeutung der mythischen Tradition für seine Untersuchung<br />

zum ” Mutterrecht“ immer wieder betont. Nach seiner Meinung erscheinen die<br />

mythischen Überlieferungen als getreuer Ausdruck des Geschehens jener lang vergangenen<br />

Zeiten,<br />

... in welchen die geschichtliche Entwicklung der alten Welt ihre Grundlagen<br />

hat, als die Manifestation der ursprünglichen Denkweise, als unmittelbare<br />

historische Offenbarung, folglich als wahre, durch hohe Zuverlässigkeit<br />

ausgezeichnete Geschichtsquelle. 49<br />

Aber Marianne Weber schreibt dazu, daß zu den wirklichen Urzuständen der Menschen<br />

keine einzige Quelle zurückreiche. Sie bezweifelt, daß alle Völker die gleiche<br />

Entwicklung durchlaufen haben, denn auch die heutigen ” primitiven“ Völker haben<br />

bereits eine wechselvolle Entwicklung hinter sich. Wenn nun die Geschlechterbeziehungen<br />

rekonstruiert werden sollen, so bleiben – nach Marianne Weber –<br />

Ähnlichkeiten immer problematisch. 50<br />

Lewis Henry Morgan war Rechtsanwalt, Eisenbahnspekulant und Politiker. Er<br />

setzte sich vor allem für die Rechte der Indianer ein. Seine auf Kumulation technologischer<br />

Fortschritte beruhenden Evolutionsreihen von drei Wirtschafts- und<br />

Gesellschafts<strong>for</strong>men (Dreiperiodensystem: Wildheit – Barbarei - Zivilisation) verband<br />

er mit der Entwicklung der Familie, ausgehend von Promiskuität über matrilineare<br />

und patrilineare Polygamie zur Monogamie, sowie der Entstehung des<br />

Staates, vom Verwandtschaftsprinzip (societas) zum Territorial- und Eigentumsprinziup<br />

(civitas). Morgan ist der Entdecker der klassifikatorischen Verwandtschaftsterminologie.<br />

Sein Einfluß auf Marx und Engels ist nicht zu übersehen und<br />

in der Folge wurde er zum ” Klassiker“ der marxistischen Ethnologie. 51<br />

49 Hans-Jürgen Heinrichs (Hg.) (1975): Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht. – Eine Untersuchung<br />

über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur.<br />

Eine Auswahl; Suhrkamp-Taschenbuchausgabe Wissenschaft, Frankfurt am Main, S.5. (Erstausgabe<br />

von J.J. Bachofen Das Mutterrecht 1861, Verlag Krais und Hoffmann, Stuttgart.)<br />

50 Marianne Weber 1989, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S.3.<br />

51 Justin Stagl (1988): Morgan, Lewis Henry; in: Walter Hirschberg (Hg.), Neues Wörterbuch<br />

der Völkerkunde, Dietrich Reimer Verlag, Berlin, S.319.

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