Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Regionalgebiet Afrika: Der ” matrilineare Gürtel“ 197<br />
Neben den bisher genannten Formen von Ortsveränderungen von Gruppen war<br />
die individuelle Mobilität ebenso üblich: z.B. durch Heirat, die zum Ortswechsel<br />
eines Ehepartners führte; Söhne, die ab einem bestimmten Alter zu den<br />
Verwandten ihrer Mutter übersiedeln mußten, aber auch Pfandleiher, Sklaven,<br />
Händler, Pilger, anerkannte Medizinmänner, Jäger- und Sammlertätigkeit zwangen<br />
zu Wanderungen. Die größte demographische Bevölkerungsbewegung Afrikas<br />
war aber der Sklavenhandel nach Amerika. Die Urbanisierung führte zur Land-<br />
Stadt-Wanderung, z.B. hatte um 1300 die Stadt Zimbabwe ca. 10.000 Einwohner,<br />
d.h. einige 100 Dörfer ließen sich an einem Siedlungsort nieder. Schätzungen über<br />
den Sklavenhandel und die Land-Stadt-Bewegung liegen vor, für alle anderen<br />
individuellen Wanderungsbewegungen gibt es kaum Beweise. 50<br />
Vansina untergliedert die Wanderungsbewegungen von Gruppen wie folgt:<br />
(1) Expansion: erfolgte häufig als natürliche Bevölkerungsbewegung, die auch als<br />
drift bezeichnet wird. Die Einheit der Migranten ist das Dorf, das sich als Gemeinschaft<br />
in eine Richtung bewegt und nur eine geringe Distanz überwindet, meist<br />
nur 20 Kilometer und nur alle 10 oder mehr Jahre ihre Siedlungen aufgrund des<br />
Wanderfeldbaus verlegen. Als Beispiel nennt Vansina die Mongono-Expansion:<br />
ausgehend vom Siedlungsgebiet am Äquator, das lange vor dem Jahr 1500 verlassen<br />
wurde und sich in Richtung zur großen Krümmung des Zaïre Flußes im<br />
Süden bewegte. Diese Wanderung war um 1900 im Gebiet zwischen dem Zaïre<br />
Fluß im Westen und dem Lomami im Osten noch nicht abgeschlossen. Ausschlaggebend<br />
für Expansionsbewegungen waren die fruchtbaren Flußtäler des unteren<br />
Kasai und Sankuru und die Waldrandgebiete im Osten, oder eine Bevölkerungsdichte,<br />
die als zu hoch empfunden wurde. Um 1700 fühlte sich eine Familie bereits<br />
bedrängt, wenn sie den Rauch aus dem Kamin eines Nachbarn sah. Die<br />
jüngeren Söhne waren dann gezwungen, eine neue Siedlung zu suchen oder zu<br />
gründen. Expansionsbewegungen waren in Afrika seit langem eine übliche Form<br />
der Konfliktlösung, dienten aber auch der Nahrungsbeschaffung, oder tendierten<br />
zu den Handelszentren und Märkten. Niemals war der Grund der Expansion von<br />
Bodenbauern eine plötzliche Katastrophe, wie Hungersnöte oder Epidemien. Unter<br />
besonderen Krisenbedingungen, wenn die sozio-politischen Strukturen zusammenbrachen,<br />
kam es zur Migrationsbewegung, die aber – wie Vansina vermutet<br />
– äußerst selten vorkam. 51<br />
(2) Diaspora oder Segmentierung: sie findet diskontinuierlich statt. Die typische<br />
Form einer Diaspora wären Handelszentren: phoenikische, griechische und<br />
arabische Niederlassungen am Horn von Afrika, europäische Stützpunkte in der<br />
Cape Town Kolonie wären danach alle der Diaspora zuzurechnen und wurden von<br />
fremden Händlern gegründet. Weitere Beispiele sind dafür die Bobangi: die Bewohner<br />
eines großen Dorfes gründeten an der Flußmündung des Ubangi Handelsstationen<br />
und Tochter-Siedlungen entlang der gesamten Strecke des Zaïre Flußes<br />
abwärts zur Mündung des Kasai-Flußes. Diese Bevölkerung vermischte sich mit<br />
50 Vansina 1992, Population Movements, S.52.<br />
51 Vansina 1992, Population Movements, S.53–54.