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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Familialisierung von sozialen Beziehungen 41<br />

(3) Die matrifokale Familie: Dominanz der Mutter-Kind-Beziehung. Eickelpasch<br />

zählt dazu die schwarze Bevölkerung Jamaikas. 99 Die Besonderheit dieser<br />

Familien- und Haushaltsorganisation ist nach Eickelpasch die spezifische Struktur<br />

ihrer Verwandtschaftsbeziehungen. Das Verwandtschaftssystem ist bilateral wie<br />

in den euro-amerikanischen <strong>Gesellschaften</strong> auch. Die gesellschaftlichen Ursachen<br />

der bilateralen Verwandtschaftsbeziehungen zu ergründen, die trotz der vorhandenen<br />

Dominanz der Mutterrolle bestehen, sind nach seiner Meinung nicht von<br />

Bedeutung. Melville J. Herskovits (1947) sieht darin ein Survival westafrikanischer<br />

Kulturmuster. 100<br />

Die einzige dauerhafte Beziehung für einen schwarzen Jamaikaner sei die zu seiner<br />

Mutter. Sie ist Haushaltsvorstand und damit die Autoritätsperson in der Familie.<br />

Zu ihr gehören die Kinder, die sie allein bis zum Alter von zehn Jahren erzieht.<br />

Die Ursache für die strukturelle Marginalisierung der Gatten- und Vater-Kind-<br />

Beziehung ist die schwache Rechtsstellung des Vaters gegenüber den Kindern. 101<br />

Die schwache Stellung des Vaters geht auf ein historisches Relikt aus der Zeit<br />

der Sklaverei, der Wanderarbeit und der damit einhergehenden saisonalen Arbeitslosigkeit<br />

zurück. Dies führte zu Konsens-Ehen, die einen vorübergehenden<br />

Aufschub der legalen Ehe darstellen. Nach Davenport 102 (1968) werden mehrere<br />

aufeinanderfolgende Konsens-Ehen eingegangen. Mit zunehmendem Alter und<br />

Einkommen des Mannes werden diese Ehen dauerhafter und stabiler und enden<br />

in einer legalen Ehe. Warum bei diesem Beispiel keine Kernfamilie vorhanden<br />

sein sollte, ist unklar. Die Konsens-Ehe schließt nicht die legale Ehe aus, sondern<br />

sie stellt nur einen vorübergehenden Aufschub dar. Die Gatten, die in einer<br />

Konsens-Ehe leben, bilden – solange sie besteht – sehr wohl eine Kernfamilie<br />

(bestehend aus Mann, Frau und deren Kinder), die aus ökonomischen Gründen<br />

auf die Unterstützung der Herkunftsfamilie der Frau angewiesen ist. Nach der<br />

Auflösung einer Konsens-Ehe kehrt die Frau mit ihren Kindern in der Regel in<br />

den Haushalt ihrer Mutter zurück. Ist die Mutter verwitwet oder unverheiratet,<br />

ergibt sich die für die karibischen <strong>Gesellschaften</strong> typischen ” matrifokalen“ Drei-<br />

Generationen-Haushalte, mit einer älteren Frau als Haushaltsvorstand. 103<br />

Alle Formen der Familienorganisation sind an die sozialen Gegebenheiten einer<br />

Gesellschaft angepaßt. Aber trotz verschiedener Kombinationsmöglichkeiten und<br />

Ausnahmesituationen ist die Kernfamilie auch in den Beispielen, die Eickelpasch<br />

99 Eickelpasch bezeichnet sie als ” Negerfamilie“ in Jamaika. Es ist kaum zu glauben, daß noch<br />

– wohlgemerkt – im Jahr 1974 von einem Sozialwissenschaftler diese rassistische Bezeichnung<br />

verwendet wird.<br />

100 Eickelpasch 1974, Ist die Kernfamilie universal?, S.336, bezieht sich auf M.S. und F.S.<br />

Herskovits (1947): Trinidad Village, New York.<br />

101 Eickelpasch 1974, Ist die Kernfamilie universal? S.334, bezieht sich hier auf Smith 1968,<br />

Community Status and Family Structure in Britisch Guiana, in: N.W. Bell und E.F. Vogel<br />

(Hg.), A Modern Introduction to the Family, New York, S.284.<br />

102 Eickelpasch 1974, Ist die Kernfamilie universal?, S.334: bezieht sich auf die Arbeit von<br />

W. Davenport 1968, The Family System of Jamaica, in: P. Bohannan, J. Middleton (Hrsg.),<br />

Marriage, Family and Residence, New York, S.259.<br />

103 Eickelpasch 1974, Ist die Kernfamilie universal?, S.334–335.

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