Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Familialisierung von sozialen Beziehungen 45<br />
Im 4. Punkt bezieht sich Wimmer unter anderem auf die Beschreibung von Patricia<br />
Draper 111 über die Auswirkungen der Seßhaftwerdung von Teilen der nomadisierenden<br />
!Kung Bushmen.<br />
Kristallisationspunkt der Veränderung ist das Haus bzw. die Lehmhütte.<br />
Mit dieser entsteht eine neue Dimension der sozialen Raumorganisation:<br />
das Innere der Hütte wird gegen Blicke abgeschirmt, ein Raum privater<br />
Exklusivität gegenüber einem Außenraum in der Mitte des Dorfes, der<br />
durch die Hütten gebildet wird, ein öffentlicher Raum und – wenn man so<br />
will – ein Raum für Politik. 112<br />
Jäger- und Sammlergesellschaften leben heute mehrheitlich in äußerst ungünstiger<br />
ökologischer Umgebung. Sie werden immer weiter in Randgebiete zurückgedrängt.<br />
Die Frage ist, warum halten sie trotzdem an ihrer nomadisierenden Lebensweise<br />
fest? Die Antwort ist fast zu einfach: sie bleiben solange Jäger und Sammler,<br />
solange sie sich und ihre Kernfamilie ohne größere Probleme und Zeitaufwand<br />
ernähren können. Die Nahrungsressourcen sind der ausschlaggebende Faktor für<br />
ihre Lebensweise. Viele Jäger und Sammler arbeiten – in unserem Sinne – relativ<br />
wenig. McCarthy und McArthur schrieben über die australischen Aborigines im<br />
Arnhem Land, daß Männer wie Frauen etwas weniger als vier Stunden pro Tag<br />
aufwenden, um ihre Nahrungsbedürfnisse zu befriedigen. Und als R.B. Lee fragte,<br />
warum die von ihm untersuchten !Kung nicht Bodenbau betreiben wie ihre<br />
Nachbarn, antworteten sie ihm:<br />
Why should we plant when there are so many mongongo nuts (the !Kung<br />
staple) in the world? ... The productivity of gathering has led some anthropologists<br />
to speculate that hunter-gatherers are the most leisured peoples<br />
in the world. However, other studies show that some swidden cultivators<br />
spend much less time making a living than do hunter-gatherer. Since there<br />
is a tendency <strong>for</strong> humans to select the most efficient (or easiest) and secure<br />
way of providing food <strong>for</strong> themselves, we believe it is safer to conclude that<br />
the food procurement method employed by a people is the most productive<br />
<strong>for</strong> the environment in which they live. 113<br />
Marshall Sahlins Formulierung über die erste und eigentliche Überflußgesellschaft<br />
” first affluent society“ bei Jägern und Sammlern ist heute nicht mehr ohne weiteres<br />
zu akzeptieren. Die Folge dieses Überflusses ist für sie – nach Sahlins – der<br />
Mangel an Vorratshaltung, der ihnen technisch möglich und auch bewußt war;<br />
111 Patricia Draper (1975): !Kung Women: Contrasts in Sexual Egalitarianism in Foraging and<br />
Sedentary Contexts, in: Rayna R. Reiter (Hrsg.), Toward an Anthropology of Women, Monthly<br />
Review Press, New York, London, S.77–109. Siehe dazu später Abschnitt 1.4, Seite 53.<br />
112 Wimmer 1996, Evolution der Politik, S.126.<br />
113 Zitiert nach Service 1979, The Hunters, S.12. Ein weiteres Beispiel über das Sammeln<br />
von Mongongo-Nüssen und die geschlechtliche Arbeitsteilung in der vorliegenden Arbeit auf<br />
Seite 58.